Noch immer in Vancouver sind meine Frau und ich in ein chinesisches Restaurant gegangen. Der 15-jährige Sohn hatte keinen Bock, chillte stattdessen im Hotel und hat (Spoiler!) was verpasst.
Vancouver besitzt eine riesige chinesische Community; bei der Volkszählung 2021 waren knapp 20 % aller Einwohner:innen in der Metropolregion chinesischer Abstammung. Daher sind chinesische Restaurants in der weltoffenen Stadt am Pazifik erheblich authentischer als das »Peking Haus«, »Die Große Mauer« oder dieser »Goldener Drache« mit dem suspekt wirkenden Goldfisch-Aquarium und den Buddha-Devotionalien in den Außenbezirken einer deutschen Großstadt. Aber hüben wie drüben gilt: Sitzen Menschen der entsprechenden ethnischen Gruppe in großer Zahl in einem Restaurant, wird es wohl ganz gut sein.
So war es auch bei der Heritage Asian Eatery in der W Pender Street im lebhaften Coal-Harbour-Viertel von Vancouver. In der Main Street gibt es übrigens noch eine weitere Filiale des Restaurants.
Das Ambiente

Machen wir uns nichts vor: Das Heritage Asian Eatery wird keinen Preis für Gemütlichkeit gewinnen. Im Gegenteil. Der Wohlfühlfaktor liegt nahe am Gefrierpunkt, und zwar gleich in doppelter Hinsicht.
Der schlauchartige Gastraum erstreckt sich von der Straßenfront bis nach hinten, wo er an die Küche grenzt, die direkt neben der Toilette liegt. Der Boden besteht aus rohem, irgendwie abgestoßen wirkendem Beton, der in regelmäßigen Abständen von offenbar unsachgemäß mit einer Flex von Rost befreiten Stahlträgern durchzogen ist.
Die Decke ist höher, als der Laden breit ist. Stromkabel sind dergestalt kreuz und quer darunter verlegt, dass ein:e deutsche:r Elektriker:in schon im ersten Lehrjahr einen Schlaganfall erleiden würde. Von den anscheinend in sämtlichen Restaurants Vancouvers üblichen, blanken Rohrleitungen fange ich gar nicht erst an.
Die unangenehme Atmosphäre wurde durch ziemlich abgeranztes Mobiliar unterstrichen. Wir saßen an einem gerade nicht mehr als speckig zu bezeichnenden Zweiertisch. Meine Frau saß auf der mit grünem Kunstleder bezogenen (und anscheinend einigermaßen bequemen) Sitzbank an der Wand, ich musste mich mit einem knüppelharten und buchstäblich arschkalten Metallstuhl herumschlagen.
Auf der einen Seite des Restaurants waren recht große Spiegel ordentlich in Reih und Glied an der Wand befestigt (einen davon seht ihr auf dem Foto), auf der anderen Seite hing ein wildes Sammelsurium riesiger Drucke chinesischer Gemälde in glaslosen Bilderrahmen. Nicht ein einziges passte zum jeweils anderen, nicht ein einziges war in Waage, nicht eines hatte den gleichen Abstand zum anderen oder hing auf gleicher Höhe. Auf diese Galerie habe ich die ganze Zeit blicken dürfen. Das hat mich so irritiert, dass ich ganz vergessen habe, ein Foto davon zu machen. Ich bin schon ein totaler Vollprofi, was so was angeht.
Auf dem Weg zum Klo unterquert man eine sich in grellem Magenta in die Netzhaut brennende Neonschrift »Happy Dumpling«, die die unangenehm kalte Atmosphäre im Laden noch weiter verstärkt. Der Laden versucht halbherzig und überaus erfolglos, mit drei gelben Papierlampen gegenzusteuern.
Aber das Adjektiv kalt beschreibt nicht nur die Atmosphäre. Auch die tatsächliche Raumtemperatur lag unangenehm tief. Bei geschätzt höchstens 18 Grad fröstelten wir vor uns hin und waren ausgesprochen froh, dass wir unsere leichten Sommerjacken dabeihatten.
Zu guter Letzt spielte ziemlich laute Musik, die kein bisschen zu einem asiatischen Restaurant passen wollte. Sie war aber wiederum nicht laut genug, um sie identifizieren zu können. Im Nachhinein kam mir der Gedanke, ob die Mucke vielleicht einfach in der Küche lief und gar nicht im Gastraum – wer weiß?
Der Service

Als wir ohne Reservierung eine Stunde vor dem extrem frühen Ladenschluss das Restaurant betraten, war der Laden fast komplett voll. Wir stellten uns also an das »Please wait to be seated«-Tischchen im Eingangsbereich, und nur Sekunden später stand wie aus dem Nichts eine hochschwangere junge Frau vor uns und lächelte uns an. Ich fragte mich kurz, wo wohl das Rauchwölkchen geblieben sein mochte, aus dem sie unzweifelhaft mit einem leisen »Plopp« aufgetaucht sein musste. Aber ich konnte diesbezüglich keine Nachforschungen anstellen, denn als sie hörte, dass wir keine Reservierung hatten, verschwand sie, wie sie gekommen war (»Plopp«), und einen halben Wimpernschlag später (»Plopp«) stand eine zweite lächelnde junge Frau dort. Sie versicherte, es sei kein Problem, dass wir ohne Reservierung da seien, zauberte aus dünner Luft eine Sprühflasche und einen Lappen hervor, wischte kurz die Tischplatte eines von zwei freien Zweiertischen ab und platzierte uns dort.
Wir nutzten die dreizehneinhalb Sekunden, in denen wir nichts zu tun hatten, um uns im recht kleinen Laden umzuschauen. Insgesamt bietet die Heritage Asian Eatery etwas mehr als 30 Sitzplätze. Davon waren rund 25 Plätze besetzt, und bei zehn Menschen an den Tischen vermuteten wir die Wurzeln in China; oben habe ich ja schon festgestellt, dass so etwas eigentlich immer ein Indiz für eine gute Küche ist.
Wir sollten nicht enttäuscht werden. Aber ich greife vor.
Denn kaum saßen wir, stand (»Plopp«) die hochschwangere junge Frau wieder bei uns, legte uns lächelnd die Karten auf den Tisch und fragte, ob wir erst einmal ein Glas Wasser wollten. Kaum hatte ich »Yes please« gesagt, standen große Wassergläser mit Wasser auf dem Tisch. Natürlich mit einem Haufen Eiswürfeln drin – es war ja bis jetzt noch nicht kalt genug in der Heritage Asian Eatery.
Dann war sie wieder weg, und im selben Moment, als wir uns entschieden hatten, stand sie mit einem iPad neben uns, um die Bestellung aufzunehmen. Wie zum Konfuzius machen die das??
Die Bestellung
Meine Frau wählte die »Classic Chicken Bowl« mit knusprig gebratenem Hähnchen, Ingwer und Schalotten, ich das »Char Siu Pork Belly & Salt Baked Chicken«. Dazu bestellten wir uns die vegetarischen Frühlingsrollen zum Teilen. Außerdem orderte ich eine Kanne Jasmintee, denn mir war jetzt schon eiskalt. »Plopp« – weg war sie wieder.
Der Jasmintee

Der Tee kam innerhalb weniger Minuten in einer flachen, aber dennoch (wie sich noch herausstellen würde) voluminösen Porzellankanne und stilistisch völlig anderem Becher. Aber der Becher wurde zum Fanobjekt meiner Frau – sie wärmte sich damit die ganze Zeit die frierenden Finger.
Um einen hochwertigen Jasmintee zu produzieren, vermischen die Hersteller grüne Teeblätter mehrfach mit frischen Jasminblüten, sodass das intensive Aroma der Blüten auf den Tee übergeht. Nach der Aromatisierung werden die Jasminblüten bei besseren Qualitäten wieder aussortiert, billiger Jasmintee überspringt diesen Schritt und behält die Blüten in den Teeblättern.
In dieser Kanne waren jede Menge Teeblätter, aber nicht eine Blüte zu sehen. Sprich: Das Ausgangsprodukt war hochwertig. Und das schmeckte man auch.
Einen guten chinesischen Jasmintee macht aus, dass er ein intensives und dennoch florales Aroma aufweist. Gleichzeitig hat er eine natürliche, dezente Süße, die den Gesamteindruck harmonisch abrundet, ohne aufdringlich zu sein. Sein Geschmack sollte frisch und klar sein, weich und mild, weder herb noch bitter.
In dieser Kanne war das exakt so. Die feinen, leicht süßen Noten verbanden sich mit dem sanften Blütenduft, und nach dem Trinken blieb ein ganz zarter Nachgeschmack zurück, der angenehm und leicht süßlich war und mich entfernt an den Duft von blühendem Flieder erinnert hat.
Der Jasmintee geht nicht in die Bewertung ein, aber ein Indiz darf er für euch sein: Der Jasmintee ist 10 von 10 Punkten wert. Gekostet hat er vor Steuern 5,00 CAD – das sind gerade einmal 3,14 Euro, und wir haben es zu zweit nicht geschafft, die Kanne auszutrinken.
Die vegetarischen Frühlingsrollen

Wir hatten uns die vegetarischen Frühlingsrollen bestellt und sind in deutscher Unkenntnis davon ausgegangen, dass die uns als Vorspeise serviert werden würden. Da hatten wir aber die Rechnung ohne unsere Wirtin gemacht, denn wir waren schon halb fertig mit unseren Hauptgerichten, als die Rollen plötzlich auf dem Tisch auftauchten.
Wir bekamen vier Stück serviert (in der Karte stehen nur drei – da hat es jemand gut mit uns gemeint), die fein säuberlich in der Mitte durchgeschnitten waren, damit wir sie uns teilen konnten. (Während ich das hier schreibe, kommt mir allerdings in den Sinn, dass sich vier Rollen ja auch super einfach so durch zwei Personen teilen lassen würden. Hä? Wozu waren die durchgeschnitten?)
Jedenfalls präsentierten sich die Röllchen mit einer knusprig-goldenen Hülle, die beim ersten Biss sofort hörbar splitterte. Die spröde, angenehm dünne Teighülle war weder zu fettig noch zu trocken – genau so, wie es sein soll. Im Inneren zeigte sich ein lebendiger, farbenfroher Zutatenmix: knackige Weißkohlstreifen, ein Streifen Karotte und Frühlingszwiebel. Alles war so auf den Punkt ausgebacken, dass der Teig außen goldbraun war, aber das Gemüse innen nicht verkocht, sondern noch leicht bissfest war. Es war weder matschig noch überwürzt, sondern aromatisch und frisch – unterstützt durch einen Hauch von Sesamöl.

In einer Schale schimmerte eine rote Soße. Die chinesische Küche arbeitet ja häufig mit Stärke, und entsprechend war auch diese Soße recht dickflüssig. Mein Hirn hatte hier irgendwie eine süße Chilisoße erwartet, deshalb war ich überrascht, dass sie kein bisschen scharf, sondern fruchtig und säuerlich war.
Der erste Eindruck war dabei eindeutig süß – es dürfte also ein relativ hoher Anteil an Zucker darin gewesen sein. Dann aber kickte die milde Säure von (Reis-?)Essig rein, der diese Süße perfekt ausbalancierte, bevor sie mir zu viel wurde. Ein Hauch Knoblauch und Ingwer mischten im Hintergrund des Geschmacksprofils ebenfalls mit.
Außerdem konnte ich ein paar fruchtige Akzente erahnen. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob hier süße Paprikaschoten oder vielleicht sogar so etwas wie gelbe Pflaumen im Spiel waren. Bevor ich das nämlich herausbekommen konnte, hatte meine Frau die letzten Reste aus der Schale gewischt.
Die Soße war der perfekte Begleiter zu den knusprigen Frühlingsrollen. Es war nur zu wenig Soße – was wohl daran liegt, dass normalerweise eine Rolle weniger geliefert wird. Beschwere ich mich also? NEIN!
Die Rollen kosten 8,85 CAD vor Steuern, das sind gerade mal 5,55 Euro für einen perfekten Snack. Selbst wenn ich ganz ausführlich nach irgendwelchen negativen Seiten dieses Gerichts suche – ich finde einfach keine. Und das heißt: 10 von 10 Punkten.
Das Char Siu Pork Belly & Salt Baked Chicken

Während ich in Deutschland nicht so wirklich darauf stehe, Schweinebauch zu essen (ich sehe ihn vor allem als den Geschmacksträger in meinem winterlichen Lieblingsgericht, dem norddeutschen Grünkohl mit Kasseler, Bregenwurst und eben Schweinebauch), werden mir auf TikTok laufend neue chinesische Zubereitungsarten dafür präsentiert. In meiner Region Deutschlands führt kein einziges chinesisches Restaurant Schweinebauchgerichte. Denn das ist quasi reines Fett, und welche:r Deutsche will schon reines Fett essen? Die wenden sich doch alle angeekelt ab und packen lieber ihr Nutella-Brot mit Butter aus.
Ja, Schweinebauch ist wirklich fast reines Fett, und weil ich mir selbst nicht so richtig über den Weg getraut habe, habe ich sicherheitshalber nicht nur den Honey roasted Char Siu Pork Belly bestellt, sondern – da hat jemand, der/die Karte gestaltet hat, mitgedacht – eine Kombination mit Salt Baked Chicken. Falls mir der Fettriegel nicht behagen würde, müsste ich auf diese Weise dennoch nicht darben.
Das Kombinationsgericht aus Schwein und Huhn kostete 19,75 CAD vor Steuern, das sind gerade einmal 12,39 Euro. Alle BBQ-Gerichte des Restaurants werden mit Gai Lan, mariniertem Ei und gedämpftem Jasminreis serviert.
Der Gai Lan

Gai Lan wird auch chinesischer Brokkoli oder chinesischer Grünkohl genannt. Kein Wunder – alle Kohlsorten der Welt stammen von nur einer einzigen Kohlsorte ab (Brassica oleracea), und während europäischer Brokkoli (Brassica oleracea var. italica) und Grünkohl (Brassica oleracea var. sabellica) seit der Antike gezüchtet werden, ist Gai Lan (Brassica oleracea var. alboglabra) erst seit dem 7. Jahrhundert CE nachgewiesen.
In der kantonesischen Küche wird er meist gedämpft oder gebraten und als Beilage zu Fleischgerichten serviert. Wann immer ihr in chinesischen Restaurants ein Gericht wie »Rindfleisch mit Brokkoli« seht, sollte dort eigentlich Gai Lan verwendet werden – und wird es fast nie.
Ich habe Gai Lan vorher noch nie bewusst gegessen. Gelegentlich hatte ich ihn zwar schon im Asia-Markt meines Vertrauens gesehen, aber noch nie gekauft – das war also für mich ein erstes Mal. Und nun lag er also vor mir auf dem Teller. Die Pflanze hat dicke, tiefgrüne Blätter und kräftige Stiele. Ich nahm eines der großen Stücke mit den Chopsticks auf und schob es mir in den Mund.
Leider waren die Stücke wirklich riesig, und gerade weil die Stiele so kräftig sind, habe ich den Kohl einfach nicht in eins in den Mund bekommen. Mangels westlichen Bestecks wurde es dann etwas – sagen wir: unschön. Ich war froh, dass nur meine Frau zuschauen musste, weil ich mit dem Rücken zum Gastraum saß. Der Zuschnitt des Gemüses ist ein vermeidbarer Punktabzug.
Der Kohl war gedämpft und überraschend bissfest und ganz anders im Geschmack, als ich erwartet hatte. Ich verstehe jetzt, warum Gai Lan mal als chinesischer Brokkoli und mal als chinesischer Grünkohl bezeichnet wird.
Denn er liegt irgendwo dazwischen.
Sein Geschmack erinnert mich tatsächlich an Brokkoli, aber er ist erheblich kräftiger als die zart und mild schmeckenden europäischen Varianten, die ich so kenne. Gleichzeitig kommt aber auch die bittere Note des einfach nicht mehr aufzutreibenden, fantastischen Grünkohls aus meiner Kindheit durch, von den Sorten, die wirklich noch knackigen Frost abbekommen mussten, um ihre Bitterstoffe weitgehend zu verlieren. (Das, was man heute als Grünkohl bekommt, muss zwar keine Minusgrade auf dem Feld erleben, aber dafür ist ihm auch die geschmackliche Komplexität abhanden gekommen.)
Gai Lan gefällt mir – sowohl geschmacklich als auch vom Mundgefühl her. Dann werde ich beim nächsten Mal im Asia-Markt zuschlagen – dann aber kleinere Stücke zubereiten.
Der Gai Lan ist also lecker und bissfest, aber zu groß für unfallfreies Essen geschnitten: 8 von 10 Punkten.
Das marinierte Ei
Halbweiche, marinierte Eier werden in vielen asiatischen Ländern zu allen möglichen Gerichten gereicht. Mittlerweile werden sie, egal woher sie stammen oder wofür sie bestimmt sind, häufig einfach »Ramen-Ei« genannt.
Für mich ist es unmöglich zu sagen, was die Küche genau für die Marinade genutzt hat. Ich kann nur ein paar sinnvolle Vermutungen anstellen: Das Ei auf meinem Teller war leicht salzig und umami, aber auch bis zu einem gewissen Grad süß. Ihm fehlte außerdem die typische Maserung einer Tee-Ei-Marinade. Darum gehe ich davon aus, dass die Marinade einfach aus einer hellen Sojasoße (für das Salz), ein paar Spritzern dunkler Sojasoße (für die Farbe und die tiefe Umami-Note) und vor allem aus Mirin (für die Süße) bestanden hat. Vielleicht war auch ein bisschen Reisessig oder Shaoxing-Wein dabei.
Jedenfalls habe ich durch dieses halbe Ei richtig Bock darauf bekommen, selbst mal wieder Eier zu marinieren – das muss bestimmt 25 oder noch mehr Jahre her sein, dass ich das zuletzt gemacht habe.
Die einzige Klage, die ich habe: Ich hatte nur ein halbes Ei. Meine Frau hingegen fand in ihrem Gericht zwei Hälften. WHY?? 😭
10 von 10 Punkten für das marinierte Ei.
Der gedämpfte Jasminreis
Wenn wir zu Hause asiatische Gerichte kochen, nutzen wir meistens Basmati-Reis, seltener Jasmin. Den gibt es einfach in unserem Dorf nicht in der Qualität zu kaufen, die wir uns wünschen. Darum freue ich mich jedes Mal darauf, wenn ich Jasminreis auf dem Teller habe.
Und ja, mir ist vollkommen klar, dass Basmati-Reis in chinesischen Gerichten nichts zu suchen hat, sondern nur in der Küche des Subkontinents. Er ist viel körniger, nach dem Kochen trocken und locker, weshalb er die in Currys die oßen gut aufnehmen kann, er hat ein längeres und schmaleres Korn und schmeckt insgesamt nussig bis erdig.
Jasminreis ist völlig anders: Er ist im Aroma zart und duftig, blumig und süßlich. Nach dem Kochen ist seine Konsistenz klebrig, was für das Essen mit Stäbchen geradezu eine Notwendigkeit darstellt.
Der Reis, den ich bekam, lag in einer ansehnlichen Menge unter meinem Fleisch. Die süßliche Marinade des Schweinebauchs hatte an ein paar Stellen auf ihn abgefärbt und so auch ein kleines bisschen des süßlichen Geschmacks übertragen. Das machte den ohnehin schon großartigen Jasminreis für mich zu einem geradezu himmlischen Erlebnis – eine glatte 10 von 10 Punkten.
Der Char-Siu-Schweinebauch

Ich kannte, das habe ich schon erwähnt, bisher noch kein einziges chinesisches Gericht mit Schweinebauch, darum habe ich mich im Nachgang des Abends genauer über diese Zubereitungsart informiert.
Char Siu ist ein traditionell kantonesisches Rezept, das wörtlich »mit Gabeln geröstet« bedeutet. Der Name geht wohl auf eine Methode zurück, bei der lange Fleischstreifen auf Spieße gezogen und dann entweder in einem Ofen oder über offenem Feuer gegrillt wurden.
Für Char Siu wird eigentlich der fettige und besonders saftige Schweinebauch, der hier auf meinem Teller lag, aber mittlerweile wird auch Schweinenacken bzw. Schweineschulter mit marmoriertem Fleisch genutzt oder sogar die magere Schweinelende.
Aber ich hatte hier das Original auf dem Teller: eine reine Fettschwarte.
Die äußeren Schichten des Fetts waren millimeterweit von einer tiefroten Marinade durchdrungen, in der der Schweinebauch stundenlang – und oft viel länger – zieht. Nach dem Marinieren wird es im Ofen gegart, und zwar anderthalb bis zwei Stunden bei etwa 160 Grad. Währenddessen wird es häufig mit der Marinade bepinselt. Zum Schluss wird das Fleisch dann mit der Grillfunktion (traditionell: direkt über offenem Feuer) nachgebräunt, um den charakteristischen Glanz und die angekohlten Ränder zu erzielen.
Zeit, das Ding zu probieren. Beinahe reines Fett, wenn auch mariniert.
Vorsichtig nahm ich eine der fetttriefenden Scheiben zwischen die Chopsticks und biss zögerlich hinein. Erstaunlicherweise war das Mundgefühl überhaupt nicht so, wie ich es erwartet hatte. Ich hatte entweder mit einem zähen Stück Gummi gerechnet oder mit überhaupt keinem Widerstand. Aber es war genau dazwischen: Auch wenn der äußerste Rand stellenweise etwas angeknuspert war, musste ich beim Hineinbeißen an die Konsistenz eines Marshmallows denken.
Der Schweinebauch war sehr saftig und zerging fast auf der Zunge. Das Fett hat die Aromen besonders gut aufgenommen und unterstrich die Mundfülle. Die Kombination aus dem zartem Fett und der glasierten Oberfläche verschaffte dem Gericht ein volles, angenehmes Mundgefühl. Und die die Säfte flossen über meine Geschmacksknospen und trugen die Marinade mit sich.
Und diese Marinade… du liebe Güte.
Sie besteht aus einer Kombination verschiedener Zutaten, die ich recherchieren musste:
Hoisin- und Austernsauce bringen eine angenehme, vollmundige Umami-Note und Würze, die dem Bauchfleisch große Tiefe und einen runden Geschmack verleihen. Sojasoßen sorgen ebenfalls für herzhafte, würzige Nuancen.
Die Süße von Honig und braunem Zucker gleicht die salzigen Noten der Sojasoßen aus. Dadurch entsteht eine deutlich süß-salzige Grundnote, die typisch für Char Siu ist.
Die fünf typischen chinesischen Gewürze Sternanis, Nelken, Zimt, Fenchel und Szechuan-Pfeffer steuern eine komplexe, warme Würze bei: leichte Schärfe, blumige Zimtnoten, anisartige Frische und etwas Süße von Nelken und Fenchel. Dieses Gewürzprofil ist zwar zurückhaltend, aber sehr charakteristisch – es macht den Geschmack unverkennbar »chinesisch«.
Shaoxing-Wein bringt eine sehr milde, ausgeglichene Säure und eine leichte, aromatische alkoholische Note ein. Das hebt die Marinade ab und sorgt für Frische und Komplexität.
Für die Farbe sorgt traditionell rot fermentierter Reis, was aber heute meist durch eine Lebensmittelfarbe ersetzt wird – ist einfacher und preiswerter.
Durch den Honig und Zucker bildet sich beim Rösten im Ofen eine glänzende, leicht knusprige und intensiv karamellisierte Kruste. Diese Glasur ist vollmundig-süß, mit Röstaromen und einem Hauch von Bitterkeit durch die dunkle Karamellisierung.
Durch diese Marinade schmeckt Char-Siu-Schweinebauch süß, salzig, mild würzig, vollmundig und mit dezenter Tiefe und bekommt auch eine aromatische, glänzend-karamellisierte Kruste. Der Schweinebauch ist durchzogen von Umami, einem Hauch Gewürz-Exotik und bleibt herrlich saftig und zart. Die Kombination aus süßer Kruste, würzigem Aroma und schmelzendem Schweinebauch haben mich vollkommen vergessen lassen, was ich mir da gerade in den Mund gesteckt hatte.
Und so aß ich die gesamte Portion des Schweinebauchs auf. Allerdings muss ich gestehen, dass ich zwischen den Schweinebauchscheiben immer wieder Reis und Gai Lan in den Mund schob. Denn mit jedem Bissen, den ich vom Schweinebauch nahm, wurde es mir zunehmend zu viel vom Fett, und am Schluss war mir beinahe schlecht davon.
Obwohl die Marinade und Zubereitung so gut war, dass ich vergaß, was ich mir mit den Stäbchen in den Mund steckte, würde ich mir Schweinebauch Char Siu nicht noch einmal bestellen. Denn den nächsten Teil des Gerichts fand ich viel besser. Und darum gebe ich dem Schweinebauch 6 von 10 Punkten.
Das in Salz gebackene Hähnchen

In Salzkruste gebackene Speisen kennen wir auch in Deutschland. Ganz besonders beliebt ist diese Methode für Fischgerichte, z. B. für Dorade, Forelle, Lachs oder Wolfsbarsch. Der Fisch wird dabei im Ganzen außen gewürzt, mit Kräutern gefüllt, dann in grobem Salz vollständig eingehüllt, das für die Stabilität oft mit Eiweiß gemischt wird, und im Ofen gebacken. Dadurch bleibt das Fleisch sehr saftig und nimmt ein feines Aroma an, ohne selbst salzig zu werden. Auch Salz-Krustenbraten kennt vielleicht der eine oder die andere von euch.
Genauso funktioniert das mit in Salz gebackenem Hähnchen. Es wird mit Gewürzen eingerieben und anschließend in einer Salzkruste gebacken. Das Salz bildet eine schützende Schicht und sorgt dafür, dass das Fleisch besonders zart, extrem saftig und aromatisch wird, da die Feuchtigkeit im Fleisch eingeschlossen wird und zusammen mit den Gewürzen zirkuliert wie in einem Römertopf. Nach dem Garen wird die Salzkruste aufgebrochen und entfernt und das Hähnchen serviert.
Auf meinem Jasminreis lag der obere Teil einer Keule, also glücklicherweise das beste Fleisch des Tieres. (Ich werde nie verstehen, warum in Deutschland alle die dröge Hühnerbrust für das beste Stück halten. Hühnerbrust ist nicht das beste Stück. Hühnerbrust ist langweilig.) Nach dem Backen war es in Stücke zerhackt worden, und zwar natürlich mitsamt den Knochen darin.
Nun dachte ich, dass es eine Herausforderung werden würde, diese Knochen ausschließlich mit den Stäbchen zu entfernen – doch ich irrte mich. Problemlos ließen sie sich aus dem Fleisch herausziehen, ähnlich wie wir das von Spare Ribs kennen. Und ja, ich schaffte das mit den Stäbchen, ohne auch nur ein einziges Mal meine Finger zu Hilfe nehmen zu müssen.
Das Fleisch selbst ließ sich natürlich problemlos vom Teller in den Mund befördern. Die Haut des Huhns war knusprig und lecker; ich habe bewusst auf die Salzigkeit geachtet, aber nichts Außergewöhnliches bemerkt. Hatte die Haut überhaupt unmittelbaren Kontakt zum Salz gehabt, oder war vielleicht eine Schicht Backpapier dazwischen gewesen? Das kann eigentlich nicht sein – denn dann wäre sie nicht so kross gewesen, sondern durch die Dämpfe aufgeweicht. War sie zunächst entfernt, separat gegart und später wieder appliziert worden? Nein, dazu saß sie zu fest am Fleisch. Wie auch immer die Küche das gemacht hatte: Chapeau.
In den Säften des Fleisches schmeckte ich Ingwer und einen Hauch Knoblauch heraus, aber das war längst nicht alles, was da in Hinblick auf Aroma passierte. Ich kann es nur einfach nicht benennen – zu subtil waren die einzelnen Komponenten, zu verbunden waren sie als Ganzes, zu unwissend bin ich, was die Aromatik dieser Küche angeht.
Nur so viel:
Es war fabelhaft. 11 von 10 Punkten für dieses Huhn.
Die Ingwer-Frühlingszwiebel-Soße
Zum Huhn gehörte ein Dip, der in einer kleinen Schale mitgeliefert wurde. Er bestand aus sehr fein gehackten Frühlingszwiebeln und frischem, geriebenem Ingwer und einem kleinen bisschen Salz, vielleicht auch einem Hauch von weißem Pfeffer. Zwiebeln und Ingwer traten so deutlich hervor und die Gewürze so weit in den Hintergrund, dass diese Mischung wohl mit heißem Erdnussöl übergossen worden ist – ein echt cooler Trick, um die Aromen der Hauptzutaten zu intensivieren und die von Gewürzen zu minimieren, ohne sie ganz zu zerstören.
Fantastischer Dip: 10 von 10 Punkten.
Fazit
Ich wollte unbedingt Schweinebauch ausprobieren, musste feststellen, dass er in dieser Form – obwohl lecker – für mich persönlich nicht das Richtige ist. Aber das hatte ich ja bereits bei der Bestellung antizipiert und daher gleich die Kombi mit dem Huhn genommen.
Dem Gesamtgericht mit Schweinebauch und Huhn gebe ich 8 von 10 Punkten.
Damit wir uns hier klar verstehen: Ich möchte eine absolut uneingeschränkte Empfehlung für diese Küche geben. Nehmt nur einfach keinen Schweinebauch, wenn ihr nicht sicher seid, ob ihr ihn mögt.
Ach ja, und nehmt Jacken und Fäustlinge mit. Auch im Sommer. 🥶



















