Der Anfang des Gastronators


Am 19. Mai 2011 veröffentlichte ich auf meiner – mittlerweile nicht mehr verfügbaren – Website kreativ-ackern.de diesen Artikel:

PR-Desaster leicht gemacht

Mit etwas Geschick kann man PR-Effekte quasi im Vorbeigehen mitnehmen, ohne dafür tief in die Tasche greifen zu müssen. Man kann diese Gelegenheiten einfach versäumen, weil man sie nicht erkennt. Dann passiert zwar nichts Positives, aber eben auch nichts Negatives. Man kann die Gelegenheit jedoch auch beim Schopfe packen, ihr ein paar gezielte Faustschläge in den Magen verpassen und, wenn sie sich dann vor Schmerzen am Boden windet, noch mal ordentlich hineintreten. Klingt absurd? Genau das aber habe ich gestern Abend erlebt: das Abschlachten einer großartigen PR-Chance.

Die Netzwerk-Plattform XING hat eine ziemlich rege Anwendergruppe in Hannover. Diese Gruppe namens Hannover Networking veranstaltet mehrmals im Jahr Treffen. Sie finden in wechselnden Locations, meist großen Restaurants, Hotels oder anderen Orten mit Catering, statt und kosten aktuell 15 Euro Eintritt. Dafür ist dann Essen inklusive. Bis zu 250 Gäste sind bei diesen Treffen anwesend, die meisten davon (Hosen-) Anzugträger. In entspannter Atmosphäre können die Mitglieder dann nach Herzenslust untereinander networken. Das gemeinsame Essen ist dabei besonders wichtig, denn während man speist, kann man die Leute kennenlernen, die zufällig neben einem Platz genommen haben.

Wie gesagt – es geht um nur 15 Euro Eintritt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese 15 Euro Eintritt bei den Veranstaltungen, die etwa im Besitos abgehalten worden sind, auch nur entfernt die Kosten decken: Das Buffet war stets riesig (kalte und warme Speisen, vegetarisch und mit Fleisch, Salate, Beilagen, Desserts, Saucen, und und und), die Qualität der Speisen (und des Personals) war jedes Mal herausragend, und den ganzen Abend standen gut gelaunte Leute am Grill und grillten kleine Steaks, Hühnerbrüste und Gambas für die Gäste. Es liefen sogar schon Masseurinnen herum, die für einen freiwilligen Betrag die Verspannungen aus den Schultern kneteten.

Der Inhaber des Besitos wirft offenbar einfach ein paar Euro pro Gast dazu, lässt seine Belegschaft zeigen, was sie drauf hat (und die hat was drauf!), macht damit alle glücklich und sorgt so dafür, dass die XING-Gäste wiederkommen. Und dass sie ihre Freunde und Verwandten mitbringen. Und dass sie völlig und ohne selbst etwas davon zu haben Links von der eigenen auf die Website des Besitos legen, verbunden mit der uneingeschränkten Empfehlung, dort mal essen zu gehen. Der Mann weiß, wie man ohne großen Aufwand richtig gute PR-Arbeit macht.

Am gestrigen Abend – die XING-Veranstaltung gastierte im noch recht neuen und weitgehend unbekannten Casino RP5 in Hannover – waren 91 Teilnehmer angemeldet. 91 Teilnehmer, die offensichtlich Interesse an Kontaktpflege haben, also 91 Multiplikatoren, die vollständig kostenlos in ihrem Kollegen- und Bekanntenkreis für das RP5 werben könnten.

Der Betreiber dieser Location hatte offenbar gar nicht kapiert, was für ein PR-Schnäppchen ihm angeboten worden war, als die Anfrage der XING-Gruppe bei ihm einging. Ihm ging es anscheinend bloß um das kurzfristige Geschäft dieses einen Abends. Und so zerstörte er in seiner naiven Kalkulation alle Chancen auf positive PR und sorgte nachhaltig für einen schlechten Ruf bei diesen 91 Multiplikatoren. Doch der Reihe nach.

Im Veranstaltungsraum waren zwei kleine Tischlein aufgebaut, die das Geschirr, die Bestecke, Servietten und das Buffet trugen. Für das Buffet war so wenig Platz, dass es in einer Art Etagere gestapelt werden musste – nicht schön, aber platzsparend. Auf den Blechen lag Fingerfood – kleine, kalte Spießchen mit dünnen Scheiben gefüllten Schweinefilets, mit marinierter Hähnchenbrust, Lachs im Pfannkuchen und ein Spieß mit einer Garnele und ein bisschen exotischem Obst. Für die Beilagenexperten gab es kleine Scheiben Schwarzbrot mit Tomatenstückchen (oder so etwas in der Art), einen nicht näher zu identifizierender Salat in einem klitzekleinen Glas und den obligatorischen Minimozzarella-Kirschtomatenspieß. Als Dessert gab es einen Spieß mit Obst.

Das war’s.

Na gut, dachten wir uns. Immerhin schmeckt’s gut, also ist das nicht so schlimm, dass wir hier nur kalte Vorspeisen kriegen. Wir, das waren insgesamt etwa zehn Teilnehmer, mit denen ich mich im Verlauf des Abends über die Veranstaltung unterhalten hatte, unter anderem Niels Koopmann, einem Geschäftsführer des mittelständischen Metallverarbeiters ANT Technologie GmbH, und den beiden in Hannover wie bunte Hunde bekannten PR-Leuten Thomas M. Ruthemann und Frank-Michael Preuss. Vorspeisen sind nicht schlimm. Dachten wir.

Doch nachdem die winzigen Teller der Gäste das zweite Mal mit bis zu vier Minispießen befüllt waren, war das Buffet leer. Und es blieb leer, den hungrig um die Etageren schleichenden Gästen zum Trotz. Offenbar stand jedem Gast Fingerfood im Wert von 15 Euro zu. Und als das aufgefuttert war, gab’s eben nix mehr. Und damit beginnt das PR-Desaster. Denn mit dem Hunger wuchs auch die Unzufriedenheit der Gäste.

Kaum war klar, dass das Buffet sich nicht wieder füllen würde, verließen die ersten XING-Multiplikatoren das Etablissement, während die PR-Leute überlegten, ob wir uns eine Pizza ins RP5 bestellen sollten. Spätestens jetzt hätte der anwesende Verantwortliche des Hauses die schlechte Stimmung erfassen und auf eigene Kappe Nachschub aus der Küche ordern müssen – doch er tat es nicht.

Entsprechend lichteten sich die Reihen der hungrigen Gäste zusehends, und als dann um 20:30 Uhr eine Führung durch das Casino angeboten wurde, war der Saal schon quasi leer. Da sattelte dann auch ich die Hühner und ging 100 Meter weiter im Hauptbahnhof in ein amerikanisches Fast-Food-Lokal, um meinen Hunger zu stillen.

Das RP5 bekommt von mir bescheinigt, dass die Küche ganz leckeres Fingerfood zustande bringt und dass das Servicepersonal sehr aufmerksam ist. Das Management aber ist unsensibel, unflexibel, krämerisch und offenbar sträflich dumm. Da gehe ich nicht mehr hin, und empfehle es auch niemandem. Schade, denn gerne wäre ich mal ins Prachtstück gegangen, das Steakrestaurant im RP5, um eines der sagenhaften Steaks (immerhin um die 40 Euro) zu essen.

Als ich bereits um kurz nach 21 Uhr nach Hause kam, fragte mich meine Frau, was ich denn schon daheim wolle – normalerweise dauern die XING-Events für mich bis Mitternacht. Meine Frau kennt jetzt die Geschichte des Abends. Und wird das RP5 wohl nie besuchen. Auch wer meine frustrierten Tweets gelesen hat, wird wohl keine Lust mehr haben auf den Laden. „Jede PR ist gute PR“, hieß es früher mal. Doch heute, in Zeiten von Blogs, Facebook und Twitter, hat dieser Satz keine Gültigkeit mehr. Heute kann schlechte PR einfach tödlich sein.

Nur wenige Tage später, am 20. Mai 2011, veröffentlichte ich im selben Blog ein »Update:
…und wie man PR-Katastrophen wieder einfangt, lest Ihr hier.« Damit verlinkte ich auf diesen Artikel:

PR-Desaster und wie man sie professionell eingrenzt

Die schlechte PR, die sich das hannoversche RP5 beim vorgestrigen XING-Netzwerktreffen zugezogen hat, zeigt Konsequenzen. Dieses Treffen lief eher, nun, sagen wir: suboptimal ab, und zwar sowohl für die Teilnehmer, die hungrig nach Hause gehen mussten, wie auch für das RP5, das sich genau aus diesem Grund plötzlich einem ausgewachsenen PR-Desaster gegenüber sah. Vom professionellen Umgang mit diesem Desaster, nämlich richtig guter Krisen-PR, berichtet dieser Artikel.

In aller Bescheidenheit muss ich wohl annehmen, dass mein Blog-Eintrag zur XING-Veranstaltung im RP5 von gestern der Auslöser für die Negativ-PR war. Die Links zu meinem Blog replizierten sich bei Twitter und Facebook teilweise im Minutentakt, Kommentare noch und nöcher wurden sowohl unter meinem Artikel als auch bei Facebook und Twitter abgegeben, und interessanterweise kommentierten nicht nur diejenigen, die bei der fehlgeschlagenen Veranstaltung zugegen gewesen waren, sondern auch Leute, die bereits vorher mal im Prachtstück (dem Nobel-Steakhaus im RP5) gegessen hatten und vom Preis-Leistungsverhältnis, äh, enttäuscht gewesen waren, und zudem noch gänzlich Unbeteiligte. Das durchschnittliche Bild, das das RP5 bei den Teilnehmern der Diskussion hinterlassen hatte, war eine reine Katastrophe.

Nun hätte ich dem Management des RP5 nach dieser Veranstaltung nicht unbedingt zugetraut, dass es überhaupt mitbekommt, was für einen desaströsen Eindruck es hinterlassen hat, geschweige denn, dass es etwas dagegen unternimmt. Doch weit gefehlt.

Das RP5 gehört zu einem international agierenden Spielbankbetreiber namens Casinos Austria International mit Sitz in Wien. Das Unternehmen besitzt derzeit über 60 Betriebe in 18 Ländern.

Nur drei Stunden, nachdem mein Artikel gestern online gegangen war und sich die selbstverschuldete negative PR-Lawine zum RP5 via Facebook, XING und Twitter verbreitete, rief der Marketing-Chef von Casinos Austria International, Hermann Pamminger (mit vollem Titel Corporate Head of Marketing) aus Wien bei mir im Büro an. Er erreichte mich nicht, da ich zu diesem Zeitpunkt gerade Studenten unterrichtete. Ich rief ihn jedoch etwa drei weitere Stunden später zurück. Sofort wusste er, um was es ging, und sein erster Satz nach der kurzen Vorstellung endete mit „ich bitte um Entschuldigung“. Damit war mir klar: Das Unternehmen will die Wogen glätten, und zwar auf die einzig richtige Art und Weise: durch das unumwundene Eingestehen des Fehlers. Damit war mir auch klar: Das Unternehmen betreibt aktive Krisen-PR und nimmt jede noch so kleine Krise (wie mich) tatsächlich ernst.

Von Krisen-PR war ich bislang allenfalls passiv betroffen, weil meine Frau PR-Managerin bei einem Finanzdienstleister ist und sie mir dies und das erzählt hat. Wohl ahnend, dass die Bitte um Entschuldigung der Auftakt zu weitaus mehr sein würde, staunte ich einige Bauklötze, als ich plötzlich im Mittelpunkt einer beginnenden Krisen-PR-Kampagne stand.

Die wichtigste Krisen-PR-Regel lautet: „Bring den lautesten Schreihals zum Schweigen!“ Das geht bei einer PR-Krise natürlich völlig anders als im Wilden Westen, nämlich auf die sanfte Tour: den Fehler eingestehen, das Problem benennen und beseitigen und den erlittenen Schaden wieder gutmachen – so wird aus lauten Misstönen ein wenigstens neutrales Gemurmel, denn natürlich berichte ich hier davon. Selbstverständlich erhofft sich Herr Pamminger, dass ich die Reichweite meines Blogs und meiner Facebook-, Twitter- und XING-Kontakte nutze, um das RP5 wieder in besseres Licht zu rücken.

Nach dem Eingestehen des Fehlers und der Entschuldigung legte mir der Marketing-Mann aus Österreich in unserem Telefonat in seinem angenehmen wienerischen Dialekt dar, dass mein Artikel bereits im RP5 ausgedruckt worden sei, dass er mit den zuständigen Verantwortlichen gesprochen habe und dass man nun analysiere, was genau schief gelaufen war und wie es dazu überhaupt hatte kommen können. Anschließend bat er mich darum, dass unsere XING-Gruppe dem RP5 beizeiten eine zweite Chance geben möge.

Um meinen eigenen, schlechten Eindruck des Hauses zu revidieren, lud mich Herr Pamminger zu einem persönlichen Gespräch (und natürlich einem gemeinsamen Essen) ins Prachtstück ein. Obwohl mir klar ist, dass das ein bisschen billige Bestechung ist, willigte ich ein (ein verlängertes Wochenende in Wien für mich und meine Lieben hat er mir gar nicht erst angeboten – richtigerweise schätzte er mich wohl so ein, dass mich das beleidigt hätte). Für mich ist das Treffen aus einem besonderen Grund interessant: Wo kann man sonst schon mal live und in Farbe hervorragende Krisen-PR-Arbeit direkt im Zentrum des Geschehens erleben? (Ich hoffe nur, dass das nicht so eine peinliche Nummer wie in Japan wird, wo sich die Top-Manager des Fukushima-Betreibers TEPCO minutenlang in geheuchelter Demut vor entrüsteten Opfern verbeugen mussten.)

Nächste Woche fanden wir einen Termin, zu dem er eigens aus Wien angereist kommt. Ja, aus Wien. Wegen eines einzelnen verärgerten Kunden, der nicht einmal der Organisator des XING-Events war. Das, liebe Leute, sorgt für gute PR. Ich weiß wohl, dass das alles lediglich dazu dient, damit ich mich wichtig und ernst genommen fühle, gleichwohl aber funktioniert es – ich fühle mich wichtig und ernst genommen. Und außerdem bin ich ehrlich gespannt auf den Mann, der ganz offensichtlich die PR-Klaviatur zu spielen versteht.

Diese zweite Chance, um die mich Herr Pamminger bat, gebe ich persönlich dem RP5 natürlich. Schließlich hat er mich darum gebeten. Ob das die XING-Truppe tut, muss sich erst noch zeigen. Ich bin ja nicht der einzige mit schlechtem Eindruck gewesen – nur vielleicht der Lauteste. Intern wird man beim RP5 aller Wahrscheinlichkeit Lehren aus der negativen Presse ziehen. Das dürfte zu einer Verbesserung der Leistung des Hauses führen – hoffentlich. Dies könnte einen Neustart mit der XING-Gruppe dort möglich machen.

Um diesen Neustart überhaupt erst potenziell zu ermöglichen, hat im nächsten Schritt der Krisen-PR-Arbeit Oliver Wilczek, der Verkaufsleiter im RP5 ist, im öffentlichen XING-Forum eine Einladung an alle Teilnehmer des fehlgeschlagenen Events ausgesprochen:

Sehr geehrte Damen und Herren,

danke dass wir Sie so zahlreich als Gäste im RP5 begrüßen durften. Mit großem Bedauern haben wir die berechtigten Kritiken gelesen. Selbstverständlich ist es für uns als Gastgeber mehr als unbefriedigend, wenn unsere Gäste mit halb gefüllten oder sogar leeren Mägen nach Hause gehen müssen!

Wir bedauern sehr, dass die Menge an Speisen nicht für alle Gäste gereicht hat bzw. das Sie nicht alle satt geworden sind.
Um Ihnen zu beweisen das wir nicht nur „köstlich“ sondern auch „viel“ kochen können, möchten wir alle gestern anwesenden Gäste einladen das RP5 mit gut gefüllten Mägen zu verlassen!

Am Mittwoch, 15. Juni 2011 um 18.30 Uhr würden wir uns freuen, Sie als unsere Gäste im Restaurant „Prachtstück“ begrüßen zu dürfen.

Zur Auswahl stehen zwei leckere Menüs. Dazu servieren wir Ihnen ausgesuchte Weine, Biere und Softgetränke auf Kosten des Hauses. Über eine verbindliche Anmeldung bis zum 09. Juni würden wir uns freuen. Anmeldungen bitte an [Adresse aus Datenschutzgründen entfernt].

Sonnige Grüße vom RP5 am Raschplatz sendet Ihnen
Oliver Wilczek und das Team vom RP5

Nun haben mir Herr Pamminger und Herr Wilczek mit ihrer sehr schnellen Intervention wirklich Respekt abgerungen. Man erlebt es nicht oft, dass dermaßen souverän mit einem PR-Desaster in den Social Media umgegangen wird. Meist liest man eher davon, wie eine aus dem Ruder gelaufene PR-Maßnahme durch falsche Schritte der Verantwortlichen sich nur noch mehr verschlimmert, wie etwa das aktuelle Beispiel des Henkel-Spülmittels Pril und seine eigentlich geniale Social-Media-PR-Kampagne zeigt.

Ich jedenfalls muss den letzten Satz meines Artikels von gestern, dass die Behauptung „Jede PR ist gute PR“ im Zeitalter von Blogs, Facebook und Twitter nicht mehr zu halten sei, korrigieren. Es ist zwar aufwändig, es ist teuer, aber man kann schlechte PR nutzen, um zu guter PR zu kommen – herzlichen Glückwunsch!

Nachspiel: Juli 2011

Das »Prachtstück« wurde geschlossen. Und Marc Schinköth, der Leiter des Restaurants BESITOS, nannte mich folgerichtig »Gastronator«. Einmal so genannt blieb der Name kleben. 🤷🏼‍♂️