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Warmer Apfelstrudel mit Wiener Melange im Café Schwarzenberg Wien

Wenn man schon mal in Wien ist, dann muss man natürlich auch in ein traditionelles Wiener Kaffeehaus gehen. Denn die Wiener Kaffeehauskultur ist so besonders, dass sie seit 2011 von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe geführt wird. »Die Kaffeehäuser«, so die Begründung der UNESCO, »sind ein Ort, in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung steht«. Und das finde ich eine wunderschöne Formulierung.

Auch wenn das Kaffeehaus nicht in Wien erfunden wurde (Jahrzehnte vorher gab es schon welche in Venedig, Oxford und London, kurz danach auch in Paris), so stecken sie doch bis heute voller gesellschaftlicher, künstlerischer und politischer Relevanz. Vom Biedermeier bis zur Moderne fungierten sie als Räume für demokratische Clubs, Redaktionsstuben und Literaturbüros. Autor:innen wie Schnitzler, Zweig und Altenberg schrieben hier ihre Manuskripte, Politiker:innen organisierten Debatten, Künstler:innen diskutierten Stilfragen.

Das Café Schwarzenberg, in das wir eingekehrt sind, wurde 1861 gegründet und bezeichnet sich selbst als »Wiens ältestes Ringstraßen-Café«. Diese Behauptung nehme ich jetzt einfach mal ohne Faktencheck so hin.

Ich beginne dieses Mal mit dem Service, nicht mit dem Ambiente, und das hat einen Grund.

Der Service

Im Eingangsbereich im Café Schwarzenberg wird eine große Zahl unterschiedlicher Kuchen gezeigt.
Im Eingangsbereich im Café Schwarzenberg wird eine große Zahl unterschiedlicher Kuchen gezeigt.

Mit sechs Personen kann man schlecht irgendwo aufschlagen und erwarten, dass spontan genug Platz da ist. Besonders dann, wenn man unbedingt in ein ganz bestimmtes Lokal gehen möchte, so wie wir. Denn schon vor zwei Jahren waren meine Frau, mein Sohn und ich im Café Schwarzenberg und fanden es fantastisch.

Also wollten wir auch dieses Mal hin, nur eben mit sechs Personen. Eigentlich hatte ich vor, für den Nachmittag im Internet zu reservieren – doch im System der Website waren erst abends Plätze frei. Wir hatten uns daher eigentlich vom Gedanken verabschiedet, das Schwarzenberg nehmen zu können. Aber eher zufällig kamen meine Frau und ich während eines gemeinsamen Spaziergangs am späten Vormittag am Café vorbei und wir sagten uns: »Fragen kostet nix.«

Also sind wir rein, wurden von zwei Obern empfangen und brachten unser Anliegen vor. Sofort machten sich die beiden daran, zu schauen, ob sie für uns am Nachmittag noch drei Zweiertische zusammenschieben konnten – und sie konnten. Sie bewegten einfach andere Platzreservierungen hin und her, um unseren Besuch irgendwie möglich zu machen. Während der ganzen Aktion machten sie Späße untereinander (»Die Leut’ schieb’ ich dir zu, dann kannst du deinen Feierabend vergessen« – »Na, da werd’ ich mich schon für revanchieren!«). Offensichtlich mochten sich die zwei, und offensichtlich war das Betriebsklima im Schwarzenberg in Ordnung. Und dann schrieb der eine Ober meinen Namen in die Reservierungen.

Als ich dann einige Stunden später zur reservierten Zeit mit meinem Sohn statt meiner Frau auftauchte (die war nämlich mit dem Rest der Familie noch anderswo in Wien unterwegs) und mich dem Schild »Bitte warten Sie, Sie werden platziert« vor der Eingangstür näherte, blickte mir der Ober von vorhin von drinnen entgegen, winkte mir zu und sagte: »Herr Pflüger, kommen’s glei’ durch!«

Bitte was? Der Ober hat mich identifiziert, obwohl ich jemand anders im Schlepptau hatte als zuvor? Und er erinnerte sich noch nach Stunden an meinen Namen, ohne nachschauen zu müssen?

Respekt. Wirklich Respekt.

Wir bekamen einen Tisch in der Nähe des Eingangs und wurden fortan von einem anderen Ober bedient – offenbar war just zu dieser Zeit Schichtwechsel.

Aber auch dieser junge Mann leistete tollen Service. Stets im Hintergrund verfügbar, stets aufmerksam, stets freundlich. Er brachte uns nicht nur die Getränke und Speisen, bat nicht nur um Entschuldigung, weil die warmen Apfelstrudel etwas länger bräuchten, räumte nicht nur stillschweigend alle leeren Teller, Gläser und Tassen weg. Nein, unser Ober erkannte unsere Bedürfnisse und hat seinen Service genau daran angepasst. Er beherrschte die Balance zwischen Aufmerksamkeit und Diskretion – er war immer dann präsent, wenn er von uns gebraucht wurde, hielt sich aber zurück, wenn wir ungestört bleiben wollten.

In einem Satz: Der Service, den wir im Café Schwarzenberg erleben konnten, war von vorn bis hinten sensationell gut.

Das Ambiente

Die Fassade des traditionsreichen Cafés Schwarzenberg direkt am Schwarzenbergplatz in Wien.
Die Fassade des traditionsreichen Cafés Schwarzenberg direkt am Schwarzenbergplatz in Wien.

Schon von außen ist das Café Schwarzenberg ein echter Hingucker. Es handelt sich um ein Eckhaus, direkt am Schwarzenbergplatz (wobei die Postadresse der Kärntner Ring ist, der auf den Platz stößt). Die großen, hohen Fenster enden oben in einem Halbrund, auf dem in goldenen Lettern der Name des Cafés angebracht ist.

Betritt man den Gastraum durch den Windfang, setzt sich der klassische Charme fort – Die Atmosphäre des Schwarzenbergs entspricht dermaßen klischeehaft dem Klischee eines Wiener Kaffeehauses, dass sich das »Klischee« wegkürzt und nur »Atmosphäre« übrig bleibt. Schaut euch das einmal an:

Der Gastraum des Café Schwarzenberg in Wien.
Der Gastraum des Café Schwarzenberg in Wien.

Ist das nicht einfach fantastisch? Was in diesem Foto gar nicht so richtig herauskommen will, ist die schiere Höhe der Decke, und das liegt an der Verzerrung des Weitwinkelobjektivs (die sieht man leider auch links an den Stühlen sehr gut). Meine grobe Schätzung ist, dass die Decke an der höchsten Stelle locker fünf bis sechs Meter misst.

Und wenn ihr euch fragt, was das da oben für ein lustiges Muster an der Decke ist, nun, es handelt sich um das hier:

Schuppenförmiges Kachelmosaik an der Decke des Café Schwarzenberg.
Schuppenförmiges Kachelmosaik an der Decke des Café Schwarzenberg.

Unsere Tische waren – ganz in der Tradition des Wiener Kaffeehauses – mit einer schönen Marmorplatte ausgestattet, die Sitzgelegenheiten mit Leder gepolstert. Die Stühle waren ziemlich bequem, was ich auf den ersten Blick überhaupt nicht erwartet hatte. Aber die halbrunde Rückenlehne des Stuhls war wirklich überraschend angenehm.

Von unserem Tisch selbst habe ich gar kein Bild gemacht, aber nebenan war noch eine reservierte Sitzgruppe frei. Auf Stühlen wie diesem hat unsere ganze Truppe gesessen.

Im Café Schwarzenberg gibt es lederne Sitzbänke und sehr bequeme Stühle mit Lederpolster und runder Rückenlehne.
Im Café Schwarzenberg gibt es lederne Sitzbänke und sehr bequeme Stühle mit Lederpolster und runder Rückenlehne.

Die Bestellung

Von unserem letzten Besuch vor zwei Jahren im Jahr 2023 wussten wir noch, dass das Schwarzenberg fantastische Wiener Schnitzel serviert (aktuell, am 7. Juli 2025, kostet es tatsächlich sagenhaft günstige 26,50 Euro). So sah das inklusive Vergleichsgröße einer Männerhand damals aus:

Café Schwarzenberg: Wiener Schnitzel, 2023
Café Schwarzenberg: Wiener Schnitzel, 2023

Heute aber war es ja erst Nachmittag, also Kaffeezeit. Also hieß es: eine Kaffeespezialität und dazu eine der berühmten österreichischen Backwaren oder Mehlspeisen genießen.

Und so bestellten wir allesamt Apfelstrudel. Vier Leute orderten die einfache Version für 7,90 Euro, mal ohne und mal mit Schlagobers (= Schlagsahne) zu 2,50 Euro. Und meine Schwägerin und ich konnten den Hals nicht voll genug bekommen und legten uns auf den warmen Apfelstrudel mit Vanillesoße und Preiselbeerschaum für 12,60 Euro fest.

Ich nahm dazu noch eine Wiener Melange für 6,70 Euro. Und damit beginne ich auch, weil sie zuerst am Tisch ankam.

Die Wiener Melange

Die Wiener Melange im Café Schwarzenberg.
Die Wiener Melange im Café Schwarzenberg.

Tauchen wir kurz ein in die Entwicklung der Wiener Melange. Grundlage ist ein Mokka und heiße Milch, aber diese Urform hat sich immer wieder verändert und weiterentwickelt. Und jetzt kommt mir doch endlich einmal zugute, dass ich zwei Jahre lang die Hannoversche Kaffeemanufaktur als Social-Media-Manager begleitet und in dieser Zeit mehr über Kaffee gelernt habe, als mir lieb ist.

Der ursprüngliche Mokka (bis 1800)
In der Frühzeit der Wiener Kaffeehauskultur wurde echter türkischer Mokka im Ibrīq zubereitet. Das staubfein gemahlene Kaffeepulver wurde mehrmals mit Wasser aufgekocht und mitsamt Kaffeesatz serviert. Diese ursprüngliche Form war stark, intensiv und oft mit Zucker und Gewürzen verfeinert. Aber in dieser Form gehörte der Mokka nie zur Wiener Melange.

Der Übergang zur Filtermethode (1800 bis 1850)
Mit der Entwicklung der Seihkanne und besonders ihrer Spezialform, der Karlsbader Kaffeemaschine, wandelte sich das Mokka-Verständnis in Wien grundlegend. Statt staubfeinen Pulvers verwendete man nun grobes Kaffeemehl, das durch Schwerkraft extrahiert wurde. Der Kaffee wurde milder und ohne Kaffeesatz serviert. Und das war ab 1830 der Startschuss für die Wiener Melange.

Die ursprüngliche Melange kombiniert mild gerösteten Mokka aus der Seihkanne bzw. Karlsbader Kaffeemaschine und die gleiche Menge heißer Milch – ganz ohne Milchschaum oder Dekor. Ziel war ein verträgliches Frühstücksgetränk für das großbürgerliche Publikum.

Die Karlsbader Ära (1850 bis 1945)
Die Karlsbader Kaffeemaschine aus Porzellan wurde zum Symbol der Wiener Kaffeehauskultur. Das charakteristische Porzellan-Doppelsieb ermöglichte einen besonders reinen, weichen Kaffee. In den Kaffeehäusern wurde der »Karlsbader« oft direkt am Gästetisch zubereitet. Manchmal experimentierten Kaffeehäuser mit geschlagener Milch oder Schlagobers für eine dünne Haube. Die Melange blieb jedoch grundsätzlich eine 1:1-Mischung mit nur gelegentlichem, dünnem Milchschaum als optionaler Zugabe. Ab 1900 kamen die ersten Dampfaufschäumer auf den Markt. Sie lieferten stabileren Schaum, was zu größerer Akzeptanz der Schaumhaube führte. In manchen Häusern ersetzte nun auch Schlagobers den Milchschaum auf der Melange – eine Spezialität, die heute als »Franziskaner« angeboten wird.

Espressomaschinen (ab 1945)
Ab Mitte des 20. Jahrhunderts hielten Siebträgermaschinen Einzug in die Wiener Kaffeehäuser. Doch Wien entwickelte eine eigene Interpretation: Anders als in Italien wird der Espresso deutlich länger und bei geringerem Druck extrahiert; der so entstehende Kaffee (»Mokka« oder »Kleiner Schwarzer«) bildet heute die Basis der Melange. Milchschaum etablierte sich ab Mitte der 1950er Jahre als fester Bestandteil der Melange, blieb aber bis in die 1980er Jahre hinein eher zurückhaltend. Erst zu dieser Zeit entstand das bis heute oft als gültig angenommene Mischungsverhältnis von einem Teil Mokka, einem Teil heißer Milch und einem Teil Milchschaum. Das scheint allerdings mittlerweile gar nicht mehr zu stimmen; verschiedene Quellen behaupten, dass oft mit einem normalen Espresso gearbeitet wird und die Milchschaumhaube nur noch 10 bis 15 Prozent des gesamten Getränks einnimmt.

Und die Wiener Melange im Café Schwarzenberg?

Ob da nun ein simpler Espresso oder ein leicht verlängerter Kleiner Schwarzer als Basis für die Melange genutzt wird, ob der Milchschaumanteil ein Drittel beträgt oder nur 10 Prozent – keine Ahnung. Das, was mir in der schönen Porzellantasse serviert wurde, war einfach großartig.

Bitte, bitte, liebes Café Schwarzenberg, verändert diese Rezeptur nicht.

Eure Melange ist wunderbar. Der Milchschaum ist exakt richtig – nicht zu fest, aber doch stabil genug, um die Schaumkrone lange zu halten. Der Kaffeegeschmack tritt trotz der vielen Milch deutlich hervor, bleibt dabei aber mild und aromatisch. (Zucker ist bei einer Wiener Melange aus meiner Sicht ohnehin des Teufels. Und ich glaube nicht mal an Teufel und Dämonen. Aber ich glaube an Kaffee ohne Zucker.)

Diese Wiener Melange ist eine ganz klare Schulnote 1.

Und jetzt zur Hauptattraktion des Nachmittags.

Warmer Apfelstrudel mit Vanillesoße und Preiselbeerschaum

»Wer einmal aus dem Blechnapf frisst«, so betitelte Hans Fallada seinen Roman aus dem Jahr 1934. Der Titel ist dabei eine zentrale Metapher für die dauerhafte Stigmatisierung aus dem Knast entlassener Strafgefangener. Der Blechnapf symbolisiert die Entbehrungen und Erniedrigungen des Häftlingsdaseins in den Gefängnissen jener Zeit – mit billigem, unzerbrechlichem Geschirr, das die Ärmlichkeit und Würdelosigkeit der Haftbedingungen verdeutlichte.

Und mir serviert man in diesem wundervollen Ambiente des Cafés meinen warmen Apfelstrudel – in einem Blechnapf:

Der warme Apfelstrudel mit Vanillesoße und Preiselbeerschaum im Café Schwarzenberg kommt in einer Metallschale.
Der warme Apfelstrudel mit Vanillesoße und Preiselbeerschaum im Café Schwarzenberg kommt in einer Metallschale.

Okay. Es ist jetzt nicht so richtig »Blech«. Kein bisschen billig. Kein bisschen ärmlich. Kein bisschen würdelos. Die Schale mit ihren zwei Henkeln fühlt sich schon ziemlich gut an. Schwerer Edelstahl, vielleicht 18/10? Egal. Ich wollte nur den peinlichen Gag mit dem Blechnapf machen.

Die Schale war recht tief; unten ein Spiegel aus warmer Vanillesoße und einem Klecks Preiselbeeren – »Preiselbeerschaum« war das eher nicht –, darin thronte majestätisch ein riesiges Stück Apfelstrudels mit feiner Staubzuckerauflage.

Meine Schwägerin und ich bekamen unsere warmen Apfelstrudel mit einer Entschuldigung des jungen Mannes vom Service deutlich nach den anderen, die ihre jeweiligen kalten Versionen mit und ohne Schlagobers schon halb verspeist hatten. Mein Sohn hatte mit dem Satz: »Das ist der beste Apfelstrudel bisher« die Latte hochgelegt, denn, ganz der Teenager in der Wachstumsphase, hatte er sich hier Tag für Tag wie ein Scheunendrescher durch die Spezialitäten der Stadt gefressen.

Meine Erwartung war also ziemlich weit nach oben geschraubt – ich hatte nämlich bisher noch überhaupt keine Süßspeise gekostet.

Die Vanillesoße

Der warme Apfelstrudel mit Vanillesoße und Preiselbeerschaum im Café Schwarzenberg kommt in einer Metallschale.
Der warme Apfelstrudel mit Vanillesoße und Preiselbeerschaum im Café Schwarzenberg kommt in einer Metallschale.

Als Erstes tauchte ich meinen Löffel in die warme – und glücklicherweise nicht heiße! – Vanillesoße. Was mir sofort auffiel, war ihre zarte Cremigkeit. Süß? Ja, aber nur ganz leicht und sehr angenehm im Hintergrund, so, als sei hier ganz dezent mit ein paar Prisen Puderzucker gearbeitet worden.

Stattdessen steht das Vanillige im Vordergrund.

Und zwar die Art Vanilliges, die ich aus meiner Kindheit in Erinnerung habe. Damals hat Mama immer ein Pülverchen aus einem Papiertütchen in warme Milch gekippt, ein wenig gerührt, und am Ende kam leckere, satt gelbe Vanillesoße heraus. Für mich war das damals die pure Magie.

Was ich sagen will: Hinweise auf echtes Vanillemark habe ich nicht entdecken können. In der Soße fand ich keine der charakteristischen kleinen, schwarzen Pünktchen. Darum gehe ich davon aus, dass in der Vanillesoße des Café Schwarzenberg lediglich einfache Vanillearomen am Start waren.

Stört mich das? Eigentlich nicht. Denn in einem Kaffeehaus erwarte ich – trotz des fantastischen Ambientes – keine Spitzengastronomie. Wie hieß es noch gleich in der Begründung dafür, die Wiener Kaffeehäuser zum immateriellen Kulturgut zu machen? Ach ja: »Die Kaffeehäuser sind ein Ort, in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee [hier: der Apfelstrudel] auf der Rechnung steht.« Die Verkaufspreise dürfen also nicht zu hoch sein. Und der warme Apfelstrudel mit Vanillesoße kostet gerade einmal 12,60 Euro. Und er ist massiv.

Aktuell, im Juli 2025, liegen die Median-Großhandelspreise (also die Einkaufspreise für die Gastronomie) für echte Bourbonvanille in Deutschland bei 1,69 EUR pro Schote. (Für Österreich konnte ich keine spezifischen Preise finden, gehe aber von ähnlichen Preisen aus.) Für die Menge in meiner Schale würde ich Pi mal Daumen eine Viertelschote für die Soße veranschlagen – das entspräche schon mal einem Einkaufspreis von 0,42 Euro für eine einzige Zutat.

Natürlich muss auch die Gastronomie betriebswirtschaftlich arbeiten. Als traditionelles Wiener Kaffeehaus würde das Café Schwarzenberg wahrscheinlich die Wareneinsatzquoten-Methode mit einem Wareneinsatz irgendwo zwischen 25 und 28 % anwenden, und das heißt, dass der Netto-Verkaufspreis der Echten Bourbonvanille in meinem Soßenspiegel irgendwo zwischen 1,50 und 1,68 Euro liegen müsste.

Geschmacklich gibt es natürlich einen Unterschied zwischen echter Bourbonvanille und synthetischem Vanillearoma. Echte Vanille wäre natürlich geiler, aber sie hätte mich bei diesem günstigen Preis wirklich überrascht. Ansonsten fand ich die Soße vor allem wegen ihrer zurückhaltenden Süße gut. Ich gebe ihr die Schulnote 2.

Der Preiselbeerschaum

In der Vanillesoße schwamm ein kleiner Klecks rotes Etwas. Das sollte wohl der Preiselbeerschaum sein. Falls diese Preiselbeeren tatsächlich je geschäumt waren, waren sie – wohl aufgrund der Wärme von Soße und Strudel – längst in sich zusammengefallen, als der Strudel am Tisch ankam.

Geschmacklich ging die Preiselbeere in der Vanille vollkommen unter – ich konnte sie einfach nicht separat auf den Löffel bekommen. Farblich und von dem aus betrachtet, was ich als Konsistenz wahrnehmen konnte, hätte es genauso gut ein Johannisbeergelee sein können. Alles, was der Klecks in der Soße tat, war punktuell die Süße zu heben. Vermutlich wäre es klug, den Schaum künftig in einem separaten kleinen Schälchen statt in der Soße zu servieren.

Wie soll ich hier eine Bewertung abgeben? Ich füge den Klecks einfach dem Gesamterlebnis der Vanillesoße hinzu. Dafür war er weder gut genug noch schlecht genug, um irgendwas an deren Ergebnis zu ändern. Es bleibt also für die gesamte Vanillesoße inklusive des süßen Prieselbeerklecks bei der Schulnote 2.

Der Apfelstrudel

Mit Puderzucker bestäubter warmer Apfelstrudel mit Vanillesoße und Preiselbeerschaum im Café Schwarzenberg.
Kunstvolle Füllung beim warmen Apfelstrudel mit Vanillesoße und Preiselbeerschaum im Café Schwarzenberg.

Was für ein Kunstwerk. Dicht gepackt drängen sich die unterschiedlich groß und unterschiedlich dick geschnittenen, goldgelben Apfelstückchen im hauchzarten, gezogenen Strudelteig. Das dicke Stück Apfelstrudel, das da auf dem Soßenspiegel sitzt, ist mit einer feinen Staubzuckerauflage versehen.

Ich mochte gar nicht anfangen, ihn zu essen, so schön war er. Wer schon einmal Apfelstrudel mit Vanillesoße gegessen hat (traditionell nur mit Kuchengabel und Löffel), der weiß, dass das kein schöner Anblick bleibt.

Aber es half ja nichts – sollte ich etwa einfach da sitzen und doof auf meine Schüssel blicken, während mir der verlockende Duft des Strudels gleichzeitig den Verstand vernebelte? Also habe ich erst einmal ein paar Apfelstückchen aus dem Backwerk gezogen, um sie alleine für sich zu probieren.

Für Apfelstrudel kann nicht jeder beliebige Apfel benutzt werden. Die Äpfel, die ich persönlich als Obst essen mag, gehören jedenfalls nicht in einen Strudel. Ich bevorzuge nämlich süße, mehlige Äpfel wie Golden und Red Delicious – und die würden bei der Zubereitung des Strudels schlicht zu einer breiigen Masse zerfallen. Außerdem würde das alles irgendwie viel zu süß werden und wegen der hohen Feuchtigkeit der Äpfel den Teig durchweichen – ganz egal, mit wie viel Semmelbrösel ich dagegen zu arbeiten versuchte.

Für einen Wiener Apfelstrudel benötigen wir also andere Apfelsorten. Typische Äpfel, die dafür verwendet werden, sind Boskoop, Elstar, Jonagold, Cox Orange, Idared oder Braeburn. In Österreich werden sie sogar oft als »Strudler« verkauft.

Welche Sorte beim Café Schwarzenberg im Strudel landet – keine Ahnung. Aber nach der Vereinigung der sauren Apfelstückchen mit dem Strudelteig, geschmolzener Butter, gerösteten Semmelbröseln, Zimt, Zucker, Zitrone, ein paar Rosinen und vielleicht einem Schuss Rum im Backofen ist mir meine Präferenz bei rohen Äpfeln ohnehin vollkommen egal.

Und so war es auch hier im Café Schwarzenberg: Der ganze Strudel hat mich ziemlich weggeblasen.

Zimtig, buttrig, süß-säuerlich, saftig und mit einem komplexen, mehrschichtigen, samtigen, ordentlichen Mundgefühl. Für dieses Gefühl sorgt die Verarbeitung der Äpfel, die – auf dem Foto oben deutlich sichtbar – in unterschiedlich große Stücke geschnitten sind, von sehr feinen, fast blättrig geschnittenen Scheibchen bis zu gröberen Apfelspalten.

All das habe ich jetzt nur geschrieben, um euch zu sagen, dass mein Sohn recht hatte, als er sagte: »Das ist der beste Apfelstrudel bisher.« Er meinte damit allerdings nur die kurze Zeitspanne unserer Wien-Reise.

Ich hingegen sage: Das war der verdammt noch mal beste Apfelstrudel meines Lebens.

Dafür gibt es die beste Schulnote überhaupt: eine glatte 1.

Aber dann war da ja noch die etwas synthetisch schmeckende Vanillesoße mit dem armseligen Preiselbeerschaum. Zu dem hatte ich weiter oben geschrieben, dass er nicht gut genug und gleichzeitig nicht schlecht genug war, um irgendwas an der Note für die Vanillesoße zu ändern.

Genauso ist es jetzt auch bei der Note für den Apfelstrudel – die mit 2 bewertete Vanillesoße (mitsamt Preiselbeerschaum) hat einfach nicht genügend Relevanz für dieses fantastische Gericht, um etwas an der Schulnote 1 ändern zu können.

Diese 1 steht so fest, da bewegt sich gar nix.

Schweinsbraten im Stöckl im Park Wien

»Wien, nur Wien, du kennst mich up, kennst mich down«, so sang Falco in »Vienna Calling«. Genau so geht es mir jedes Mal, wenn ich in der Stadt an der Donau bin. Denn jedes Mal, wenn ich in der Stadt an der Donau bin, fühle ich mich nicht nur kulturell, sondern auch kulinarisch rundherum verstanden.

Heute war ich mit meiner Familie bei 36 °C Außentemperatur im »Stöckl im Park«. Der Besuch war nur eine Notlösung, denn der Laden, bei dem wir eigentlich reserviert hatten, war überraschenderweise geschlossen. Ein handgeschriebener Zettel an der Tür ließ uns etwas ratlos zurück. Denn wir hatten Hunger, und es war gerade 18:45 Uhr, also überall Hochbetrieb in den Restaurants. Und wir waren mit sechs Personen unterwegs – die kriegt nicht jeder Laden mal eben unangekündigt unter.

Das »Stöckl« lag nur ein paar Hundert Meter von unserem eigentlichen Restaurant entfernt. Normalerweise hätte ich das gar nicht angesteuert, denn die Bewertungen zum Essen und zum Service sind ziemlich durchwachsen, besonders, wenn man nicht nur auf einer Bewertungsplattform schaut. Viele Gäste loben das freundliche Personal, das schöne Ambiente und die Qualität mancher Gerichte. Andererseits gibt es aber auch die exakt gegenteiligen Rezensionen: harsche Kritik an einzelnen Speisen, die teilweise als lieblos zubereitet oder nur aufgewärmt empfunden werden, an der Lautstärke und am Preis-Leistungs-Verhältnis. Und der Service wird für meinen Geschmack viel zu häufig als viel zu lausig beschrieben.

Aber es war einfach nichts anderes in der Nähe, das mal eben spontan Platz für sechs Personen bot. Es half also nichts – notgedrungen mussten wir hinein.

Das Ambiente

Das »Stöckl im Park« ist eine Brauerei und Gaststätte im 3. Wiener Bezirk, gelegen im Schwarzenberggarten an der Prinz-Eugen-Straße. Es verfügt nicht nur über einen Gastraum (vielleicht sind es sogar mehrere, das habe ich in der Eile nicht richtig sehen können), sondern vor allem auch über einen weitläufigen, sehr schönen Biergarten mit laut Website 4.000 Quadratmetern Fläche und schattigen Bäumen. Den haben wir aber wegen der drückenden Hitze gar nicht in Betracht gezogen – wir haben stattdessen im kühlen Souterrain Platz genommen.

Die Einrichtung dieses Souterrains war modern und zweckmäßig, aber doch mehr oder weniger rustikal-gemütlich – eine seltsame Mischung, die ich auch jetzt in der Nachbetrachtung nicht richtig greifen kann, die aber irgendwie doch stimmig zusammenpasst. Wir saßen auf erstaunlich bequemen Sitzbänken an zwei aneinander geschobenen quadratischen Holztischen ohne Tischdecken oder anderen Schnickschnack. Bonus bei dieser Platzierung: Die Getränketheke war in unmittelbarer Nähe, das gezapfte Kaltgetränk kam perlend frisch an den Tisch.

Der Service

Wir wurden von Christian bedient, einem dauerlächelnder Mann irgendwo in seinen 20ern, 30ern oder 40ern (absolut unmöglich zu sagen), der uns sofort gutherzig duzte, obwohl viel, viel, VIEL ältere Personen am Tisch waren. Seine Augen blitzten, seine Stimme war warm, und seinen Wiener Dialekt hatte er klar unter Kontrolle. Für mich als Norddeutscher war nicht einmal auszumachen, ob er überhaupt wirklich herumwienern könnte – er sprach nämlich so bemüht Deutsch mit uns doofen Piefkes, dass er am Ende, als es um den Nachtisch ging, grundsätzlich nur von »Sahne« sprach, obwohl doch jede:r weiß, dass das hierzulande »Obers« heißt.

Aber ich ahne, warum der Service in den Bewertungen so widersprüchlich bewertet wird. Denn für viele meiner ach-so-zartbesaiteten Landsleute kommt alles Österreichische irgendwie »grantelnd« daher. Insbesondere der Wiener Dialekt wird pauschal als »arrogant«, »überheblich« und »pikiert« empfunden, so als blicke das ganze hochkulturelle Wien naserümpfend auf die primitiven Piefkes aus dem Flachland herab. Wenn man aber so empfindet und dann auch noch mir-nichts-dir-nichts einfach so von einer in der sozialen Hackordnung weeeeeeeeit unter einem stehenden Servicekraft ungefragt geduzt wird, dann wird der Service halt als schlecht wahrgenommen. Weil man ihn als schlecht wahrnehmen will, nicht weil er schlecht ist.

Zurück zu unserem Service: Wir fanden ihn nicht schlecht. Nein, ganz und gar nicht. Der Laden brummte, Christian und seine Kolleg:innen hatten alle Hände voll zu tun, und trotzdem war das ganze Personal immer mit einem Lächeln da, standen unsere Getränke schnell auf dem Tisch, und auch das Essen ließ nicht lange auf sich warten.

Die Bestellung

Apropos Essen.

Mein Sohn, meine Frau und meine Schwägerin bestellten sich das Wiener Schnitzel, meine Schwiegermutter das Biergulasch vom Weiderind und mein Schwiegervater den Zwiebelrostbraten, auch vom Weiderind. Dazu werde ich hier aber nichts sagen, obwohl ich überall mal genascht habe. (Nur eins: Der Kartoffelsalat, der zum Wiener Schnitzel kommt, war phänomenal.)

Ich orderte den Schweinsbraten mit Bierkraut, Grammeln und Serviettenknödel für einen Preis von 19,90 Euro. Dazu nahm ich einen halben Liter Wiener Helles 1924 mit einer Stammwürze von 12,2° und 4,90 % Umdrehungen zu 5,40 Euro.

Was diese Grammeln sind, wusste ich nicht. Aber ich bin ja schließlich in Österreich, um meinen Horizont zu erweitern, statt aus lauter Angst vor Neuem schon wieder zu Kentucky Mc King zu rennen.

Als die Gerichte dann nach einiger, aber nicht zu langer Zeit kamen, sind mir fast die Augen aus dem Kopf gefallen.

Vor mir stand eine Pfanne mit 24 cm Durchmesser, randvoll mit Fleisch, Kraut, Knödeln und Soße. Für die Gesundheit gab’s auch noch ein wenig gehackte Petersilie obendrauf. Ach ja, und irgendwo waren auch noch diese Grammeln. Oder war »Grammeln« womöglich österreichisch für gehackte Petersilie? Ich konnte nicht nachschauen, denn im Souterrain hatte ich keinen Empfang.

Der Duft, der der Pfanne entströmte, war ziemlich verführerisch. Das musste ich sofort probieren!

Die Soße

Der erste Bissen, und sofort war die Soße da.

Viel zu oft wird in der Gastronomie eine hauptsächlich salzige Bratensoße aus der Tüte serviert. Bäh.

Aber diese hier?

Klar, das Salz war auch hier mit dabei, ja, aber sie war eben auch irgendwie anders. Ein Hauch von Bitternoten wie aus Schwarzen Johannisbeeren, eine zarte, leichte fruchtige Süße, gleichzeitig noch umami – diese Bratensoße war eine wahre Geschmacksexplosion. Sie war wunderbar. Sie war komplex, und das ist ein Attribut, das ich in meinem ganzen Leben wohl noch nicht im Zusammenhang mit einer Bratensoße benutzt habe.

Heute muss ich es benutzen. Diese Bratensoße war komplex, sie knallte, sie schmeckte fantastisch. Ich liebe diese Soße!

Wenn nun aber schon die Bratensoße so gut ist, wie wird das wohl bei den anderen Komponenten sein? Beim Bierkraut? Beim Schweinsbraten? Bei den Serviettenknödeln? Und bei diesen mysteriösen Grammeln?

Das Bierkraut

Anders als Sauerkraut wird Bierkraut nicht fermentiert, sondern der geschnittene Kohl wird mit (meist hellem) Bier, angeschwitzten Zwiebeln und Gewürzen geschmort, je länger, desto besser. Manchmal ist noch Speck dabei oder anderes Fleisch, das dann für eine besondere Note sorgt. Bierkraut ist eine tolle Beilage für alle möglichen Gerichte. Außerdem ist es super für gewisse rumpubertierende Familienmitglieder, denen die Säure von Sauerkraut aufstößt. Denn Bierkraut ist viel milder.

Ich kenne Bierkraut so, dass es als eigenständige Komponente auf dem Teller angerichtet liegt. Daneben finden sich dann Knödel (Fleisch ist optional), und dazu gibt es dann einen Klecks Soße – in der Regel viel zu wenig für die häufig recht trockenen Knödel.

Über zu wenig Soße konnte ich mich beim Schweinsbraten im »Stöckl im Park« auf jeden Fall nicht beschweren – denn hier war das Gericht nicht auf einem Teller angerichtet.

Sondern in einer Pfanne.

Eine Pfanne, die randvoll mit Soße war. So randvoll, dass das Bierkraut sich damit vollgesogen hatte. Es war mir vollkommen unmöglich, das Kraut als solches zu schmecken.

Wäre das ein Sauerkraut gewesen, hätte es sich wenigstens durch seine säuerliche Note von der Soße abgehoben. Aber mildes Bierkraut? Das ordnete sich der Dominanz der Soße leider gänzlich unter und fügte für mich lediglich eine sensorische Wahrnehmung hinzu, nämlich in Form von weicher Masse.

Und das ist schade, denn wenn ich ausschließlich nach der Sensorik gehe, scheint mir das ein hervorragendes Bierkraut gewesen zu sein. »Weiche Masse« klingt eklig, aber hier ist das eigentlich ein Qualitätsmerkmal. Superweiches Kraut ist ein Zeichen dafür, dass es sehr lange geschmort wurde – das ist ein Aufwand, der im eiligen Hopplahopp von Gastronomieküchen nur selten durchgeführt wird, weil Aufwand nämlich teuer ist.

Ich würde das Kraut echt mal gerne direkt aus dem Topf probieren. Denn ich vermute, dass es für sich genommen dieselbe hohe Güte wie die Soße hat. Jammerschade, dass diese Qualität im wahrsten Sinne des Wortes in einer Pfanne untergehen muss.

Der Schweinsbraten

Insgesamt wurden mir drei großzügige Scheiben Schweinsbraten serviert. Das Fleisch war wunderbar zart – ich hätte es mit einem Löffel zerteilen können. Nirgends, wo ich einen Schweinebraten gegessen habe, habe ich bisher eine derartige Zartheit erlebt. Häufig ist das Fleisch dröge und trocken – hier nicht. Es schmolz mir förmlich im Mund. Ganz offenbar kauft das »Stöckl im Park« für seinen Schweinsbraten ein richtig hochwertiges Stück Fleisch ein, das dann mit viel Können schonend über einen längeren Zeitraum zubereitet wird. Wie schon beim Bierkraut: Je länger es geschmort wird, desto zarter wird es. Hier denkt also jemand mit. Hier möchte jemand hervorragend gegarte Produkte servieren.

Aber dann kommt die Pfanne.

Und in dieser Pfanne wird der Braten in einer Soße ersäuft. Eine fantastische Soße. Aber ersäuft ist ersäuft.

Es war ein Elend. Wie schon zuvor beim Bierkraut – ich hatte keinerlei Chance, den Braten an sich zu genießen. Alles schmeckte bloß schon wieder nach dieser fulminanten Soße. Das Fleisch fügte dem Ganzen lediglich ein weiteres Mundgefühl hinzu.

Der Serviettenknödel

Ich kann es nicht oft genug wiederholen, wie toll die Soße war. Ich meine das wirklich. Natürlich waren auch die Serviettenknödel tief in diese Soße getaucht. Entsprechend schmeckten sie auch ausschließlich danach. Aber das hat mich hier mal ausnahmsweise nicht gestört.

Jetzt brauchen wir einen kleinen Exkurs.

Kennt ihr Stangenei? Nein? Dann schaut mal kurz hier vorbei, bevor ihr weiterlest.

Habt ihr gelesen? Habt ihr gesehen?

Okay, jetzt, wo ihr Stangenei kennt, kommen wir zum Serviettenknödel zurück. Denn als ich von diesen Scheiben aß, sprang mir alles Negative in den Kopf, was ich mit Stangenei assoziiere. Irgendwie wabbelig, industriell, unschön, auch ein bisschen unappetitlich.

Ausgerechnet.

Denn ich hatte mich wegen des Knödels für dieses Gericht entschieden.

Normalerweise ist Schweinebraten ja nicht so toll zart wie dieser, sondern dröge und trocken. Normalerweise hätte ich mich darum für den Zwiebelrostbraten entschieden, den mein Schwiegervater nun mit großem Appetit verschmauste und der fantastisch aussah. Aber ich liebe nun mal Semmelknödel, Serviettenknödel, Speckknödel und all diese süddeutschen und österreichischen Herrlichkeiten, und bei uns im Norden kriege ich die nirgends. Darum war der Serviettenknödel für mich ausschlaggebend für meine Bestellung.

Und dann diese Enttäuschung. Das konnte dann auch die phänomenale Soße nicht retten.

Die Grammeln

Lasst euch noch einmal kurz daran erinnern, dass ich keinen Plan hatte, was »Grammeln« sind. Mangels Internetempfang konnte ich auch nicht vor Ort nachschauen. Meinte das vielleicht tatsächlich die Petersilie?

Nun: nein.

Grammeln haben nichts mit Petersilie zu tun. Die gute, alte Petersilie heißt auf Österreichisch übrigens »Petersil« und ist überraschenderweise männlichen Geschlechts, also »der Petersil«. Da klappt dem Gastronator aus dem dialektfreien Hochdeutschland doch vor lauter regionaler Besonderheit glatt das Kinn in die leckere Bratensoße.

Dieses sprachliche Zuckerl konnte ich jetzt, wo ich im Hotel sitze und diesen Text schreibe, im Internet in Erfahrung bringen.

Und bei der gleichen Gelegenheit habe ich mal nach »Grammeln« geschaut. Aha! Da wo ich herkomme, sind das »Grieben«. Sie entstehen, wenn roher Schweinespeck in kleine Würfel geschnitten und gaaaaaanz langsam erhitzt wird, sodass das Fett ausläuft und nur die knusprigen Rückstände übrig bleiben. (Und wie die knuspern!)

Diese Grammeln waren als eine Art Topping über das ganze Gericht gestreut, so wie Croutons über einen überteuerten Salat. Sie knusperten unwirklich gut, und das, obwohl sie die ganze Zeit über in der Soße lagen und eigentlich hätten weich werden müssen. Das ist doch schon wieder ein Zeichen einer exzellenten Küche.

Die Grammeln retteten tatsächlich die ganze Pfanne. Denn immer mal wieder, wenn ich eine Gabel voll mit irgendwas nahm, überraschte mich die Knusprizität eines kleinen Speckwürfels, der sich irgendwo reingemogelt hatte – in das Kraut oder auf ein Stück Fleisch, und mit ein paar Grammeln wurden sogar die Knödel erträglich.

Die schiere Menge und ein Fazit

Die Masse an Nahrung, die vor mir in dieser Pfanne lag, hat mich komplett überwältigt. Drei Stück Fleisch, eine recht großzügige Portion Kraut und die Serviettenknödel als Sättigungskomponente, dazu die reichhaltige Soße und auch noch die Grammeln – etwas mehr als zwei Drittel der Portion habe ich geschafft, dann musste ich aufgeben. (Ich gebe aber mal vorsichtshalber dem gehackten Petersil die Schuld dafür, dass ich nicht aufessen konnte.) Der Preis für den Schweinsbraten liegt bei 19,90 Euro – das Preisleistungsverhältnis ist, bezogen auf die Portionsgröße, der Hammer.

Aber lieber wäre mir offen gesagt eine kleinere Portion mit klarer definierten Komponenten, die ich dann auch differenziert schmecken und separat genießen kann.

Liebes »Stöckl im Park«, ich glaube, dass ich diesem Gericht heute Abend eine Schulnote 2 (mit Fleißbienchen!) hätte geben können, wenn ihr es mir einfach auf einem Teller serviert hättet, statt es in dieser unfassbar leckeren Soße zu ersaufen. Rustikaler Schick solcher Pfannenpräsentationen hin und her, aber wenn alles einheitlich nach Soße schmeckt, ganz egal, wie gut sie ist, bleibt die Gaumenfreude echt auf der Strecke. Und das ist schade. Denn wie ich oben mehrfach angemerkt habe – ich konnte es fühlen, wie gut ihr in Wahrheit kochen könnt.

Naja, bis auf den Knödel. Bei dem ist irgendwas furchtbar schiefgegangen.

So komme ich für dieses Gericht leider, leider nur auf eine 4 (immerhin auch mit Fleißbienchen).

Das gute Ende kommt zum Schluss

Natürlich gab’s noch einen Nachtisch. Ein Eis (mit Schlagsahne? WTF, Christian! Wir sind hier doch nicht in Hochdeutschland!) für den Sohn, die Schwägerin und den Schwiegervater, ein Kleiner Brauner für mich.

Ein Kleiner Brauner, wie er in Wien serviert wird.
Ein Kleiner Brauner, wie er in Wien serviert wird.

Ein Kleiner Brauner ist eine klassische Wiener Kaffeespezialität.

Er besteht aus einem Mokka (in Österreich versteht man darunter einen dem Espresso nicht unähnlichen Kaffee, der aber mit längerer Extraktionszeit und geringerem Druck als ein echter italienischer Espresso zubereitet wird) und wird mit einem Schuss Milch oder auch Schlagobers serviert (also Sahne – für all jene, die es noch immer nicht kapiert haben. Looking at you, Christian!). Der Name »Brauner« leitet sich übrigens von der Färbung ab, die der Kaffee durch die Milch oder den Schlagobers erhält.

Die Milch (oder der Obers) wird üblicherweise in einem kleinen Kännchen dazu gereicht, damit man die gewünschte Menge selbst hinzufügen kann, so natürlich auch im »Stöckl«. Ich habe, gierig wie ich nun mal bin, die komplette Milch hineingegeben. Sie war heiß und ein bisschen aufgeschäumt.

Und so kam ich zum besten Kaffee, den ich seit Langem getrunken habe.

Ein versöhnliches Ende also im »Stöckl« für mich.

Mit diesem Bericht habe ich diesen Blog nach 13 langen Jahren reaktiviert. Unglaublich.

Schnitzelabend im Stephans Eck

Wieder einmal traf sich die illustre BMI-Tuning-Gruppe aus Hannover, um sich einen Spoiler anzufuttern. Diesmal fiel die Wahl auf das Stephans Eck in der Geiblstraße.

Das Stephans Eck (das nur außen so heißt – in der Speisekarte steht Stephan‘s Eck mit mittlerweile zulässigem, aber noch immer komplett bescheuerten Deppenapostroph) eröffnet erst morgen neu. Heute waren wir die ersten Gäste – inmitten gerade aufgehangener Bilder und im Dunst frischer Farbe. Irgendwie hat das die Organisatorin des Abends hinbekommen.

Typischerweise futtert die BMI-Truppe Schnitzel, und so war es auch geordert – für 9,90 Euro gab es zunächst einen recht leckeren Salat.

Salat

Nach dem Salat folgte jede Menge kleiner, zarter, in Butter gebratener Schnitzelchen. Dazu gab es wahlweise Jäger- oder Paprikasoße Ungarischer Art, beide aus frischen Zutaten hausgemacht. Während die Jägersoße mit ihren frischen Pilzen sehr gut war, hätte die Paprikasoße Ungarischer Art gern ein bisschen Bumms vertragen können. Als »seniorenfreundlich« wurde die Paprikasoße Ungarischer Art etwas euphemistisch durch einen Teilnehmer beschrieben.

Zu den Schnitzeln gab es leckere Bratkartoffeln oder wahlweise Pommes frîtes, die teilweise sehr wenig gesalzen (gut – kann ja jeder selber salzen) und teilweise etwas wenig knackig waren (nicht so gut).

Angerichtet wurde alles auf Platten und Schüsseln, sodass es zu einem munteren Hin- und Herreichen der einzelnen Gerichtskomponenten kam. Das macht in größeren Gruppen viel mehr Spaß, als wenn jeder seinen eigenen Teller bekommt.

Schnitzel, Pommes, Zigeunersauce

Alles in allem würde ich dem Essen mit einem Zwischending aus einer Eins minus oder Zwei plus bewerten wollen. Da das nicht geht, bleibt es bei der Zwei plus. Der Service hat sich dagegen eine Eins verdient – ein einzelnes Mädel stemmte die gesamte Meute, und sie hat es sogar zuwege gebracht, den Salat zunächst den verstreut sitzenden Damen zu servieren, bevor dann die Herren zu ihrem Recht kamen. Das erlebt man nicht mehr oft, und dafür: Châpeau!

Der doppelte Espresso, den ich zum Nachtisch orderte, war dafür ein totaler Reinfall. Erstens war er sehr, sehr dünn – so als habe man einen einfachen Espresso auf die doppelte Menge gestreckt. Zweitens schmeckte er alt. Die Bohnen waren offenbar zu lange an der Luft. Vielleicht wird hier nicht so oft Espresso ausgeschenkt? Dafür eine glatte Sechs.

Espresso im Stephans Eck

Doch wer eine deutsche Kneipe nach dem ausgeschenkten Espresso bewertet, macht was falsch – Filterkaffee: An dem dürfte man herummäkeln. Nicht aber, wenn der Espresso kacke ist. Darum lasse ich den mal außen vor.

Das neue Stephans Eck ist zu empfehlen – aber lasst dann doch lieber die Finger vom Espresso.