An unserem letzten Abend in Vancouver gingen die Frau, der Sohn und ich kulinarisch getrennte Wege. (Keine Sorge, eine weitere, sehr umfangreiche Rezension folgt noch.)
Unser Hotel in Vancouver lag direkt gegenüber von BC Place. BC Place ist ein multifunktionales Stadion in Downtown Vancouver, das als Heimat der BC Lions (Canadian Football League) und vom Vancouver Whitecaps FC (Major League Soccer) dient. Letzteres Team hat sich ex-Nationalspieler Thomas Müller just während unseres Aufenthalts in Kanada als vorläufiges Altenteil ausgesucht.

Direkt vor dem Zugang zum Stadion liegt eine Filiale von Boston Pizza. Mich zogen die grellen Neon-Zeichen an wie die Motte das Licht. Außerdem hatte ich Bock auf eine nordamerikanische Pizza.
Also betrat ich den Laden und blieb brav vorne am Eingang stehen, wo ein Tresen mit Kasse aufgebaut war. Darauf: ein Klingelknopf. Und da niemand am Tresen saß, drückte ich ihn, obzwar kein »Please wait to be seated«-Schild zu sehen war. Aber das ist in Kanada eigentlich Standard.
Ich klingelte.
Und klingelte nochmal.
Niemand erschien.
Im Hintergrund hetzte eine junge Frau durch den riesigen Gastraum, hin und her, immerzu mit Tabletts beladen. Sie sah mich, blickte sich hektisch um. Auch sie sah offenbar niemanden, der mich bedienen könnte. Mittlerweile standen hinter mir weitere Leute, die Einlass begehrten.
Ich klingelte.
Die junge Frau hetzte hinter die Kulissen, kurz darauf kam ein junger Mann aus einem verborgenen Raum heran, und als ich nach einem Platz nur für mich fragte, war er sichtlich enttäuscht. Er platzierte mich an einem Zweiertisch mit Blick auf die Bar und legte mir das Menü vor, dann kümmerte er sich sofort um die Vierergruppe hinter mir, die er an einem weitaus attraktiveren Platz unterbrachte. Danach verschwand er dort, wo er hergekommen war und überließ den gesamten Gastraum wieder der einzelnen Servicekraft.
Insgesamt saßen über die gesamte, riesige Fläche verteilt bestimmt 20 oder 30 Personen – und alles musste die einzelne junge Frau stemmen: von der Aufnahme der Bestellungen über das Herantragen von Drinks und Speisen, dem Abräumen leeren Geschirrs bis zum Drucken und Abkassieren der Rechnungen. Krass.
Ich musste also warten, bis ich bedient werden konnte.
Plötzlich stürmte sie heran, lächelte mich strahlend an und fragte, was sie mir zu trinken bringen könnte. Ich hatte unterdessen schon so viel Zeit gehabt, dass ich auch schon mein Essen ausgesucht hatte. Keine zwei Minuten stand der Eistee auf dem Tisch, den sie elegant im Vorbeifliegen sozusagen abwarf. Auf meine Pizza musste ich länger warten und hatte daher viel Zeit, mich mit dem Ambiente vertraut zu machen.
Das Ambiente

Boston Pizza ist eine kanadische »Casual-Dining«-Kette, die 1964 gegründet wurde und heute als eine der führenden Restaurantmarken des Landes mit Hunderten Standorten in Kanada sowie Ablegern in den USA und Mexiko gilt. Der Gründer wählte den Namen »Boston« deshalb, weil ihm Boston als Stadtname gefiel, weil der Name sowohl auf Englisch wie auch auf Französisch gut aussprechbar ist und weil Boston in Kanada als »amerikanisch-sportlich« wahrgenommen wird.
Ja, sportlich. Boston ist die Heimat gleich mehrerer bekannter Profiteams in den großen US-Sportarten: die Boston Red Sox (Baseball), die Boston Celtics (Basketball), die Boston Bruins (Eishockey) und die New England Patriots (Football).
Das Boston-Pizza-Konzept vereint diese sportliche Wahrnehmung, indem es eine Sports‑Bar und – so sagt zumindest die Website – ein familienfreundliches Restaurant verbindet.
Der Part mit der Sports-Bar dominierte allerdings den kompletten Gastraum. Überall hingen Bildschirme herum – egal, wohin man sich wendete. Zentral über der Bar hing ein Monsterdisplay, auf dem im vierfachen Splitscreen bis zu drei Sportarten gleichzeitig liefen (Baseball und Eishockey, das in Kanada nur hockey heißt, und außerdem ein Zusammenschnitt legendärer Fußball-Tore internationaler soccer-Vereine).
Der vierte Screen blieb nicht etwa leer, sondern lieferte eine zweite Kameraeinstellung, entweder vom Eishockey- oder dem Baseball-Spiel. Gelegentlich tauchten auch Kommentatoren auf, und alle paar Minuten lief in einem der Splitscreens ein einzelner Werbespot für irgendwas.

Richtig nervig an diesem Screen war, dass die Inhalte der vier Felder permanent wechselten. Selbst wenn ich einem Spiel oder den Torszenen hätte folgen wollen – es wäre gar nicht gegangen. Mal war rechts oben Eishockey, mal Fußball, mal Kommentator, mal Werbung, mal Baseball.
Die einzelnen, im Gastraum verteilten Screens zeigten jeweils nur einzelne Spiele, keinen Splitscreen.
Am allerschlimmsten aber war das leuchtende Dingsbums hier:

Dieses Touch-Display, das in seiner ganzen hässlich-billigen Plastikheit auf dem Tisch herumstand, flackerte alle paar Sekunden auf ein neues Slide, um mir irgendwas aus dem Sortiment zu verkaufen oder etwas über die famose Geschichte von Boston Pizza zu erzählen – so schnell, dass ich nicht einmal den Text erfassen konnte. Was für ein Quatsch!
Zum Beispiel las ich auf dem Ding das hier:
”Our name is American, our food is Italian, but we’re 100 % Canadian and have been since we opened our first restaurant in Edmonton in 1964. What‘s confusing about that?“
Zu deutsch: »Unser Name ist amerikanisch, unser Essen ist italienisch, aber wir sind zu 100 % Kanadier, und das schon seit der Eröffnung unseres ersten Restaurants in Edmonton im Jahr 1964. Was ist daran verwirrend?«
Natürlich hatte das Dingsbums auch einen praktischen Zweck: Auf dem kleinen Touch-Display konnte ich das Menü aufrufen, die einsame und ohnehin gestresste Servicekraft rufen oder nach der Rechnung verlangen. Sobald ich das Menü aufrief, hörte es ein bisschen länger auf zu flackern – also tippte ich laufend »Menu« an und hatte dann 30 Sekunden Ruhe.
Nervtötend as hell. 👿
Am allerschlimmsten aber war der Lärm. Es war so unfassbar laut in dem Laden (soviel dann zum »familienfreundlichen Restaurant«). Die Akustik in der riesigen Halle mit den – natürlich – nackten Kabeln und Rohren an der Decke war einfach gruselig. Ich weiß nicht einmal, was den ganzen Krach erzeugte, denn ich habe mir direkt nach meiner Bestellung die AirPods Pro reingepröppelt und Noise-Cancelling aktiviert. Und selbst damit blieb es irre laut. Mit eigener Musik auf den Ohren ging’s dann.
Der Service
Ich erwähnte schon, dass die junge Frau vom Service sich alleine um den ganzen Laden kümmern musste. Und obwohl sie fürchterlich gestresst war, lächelte sie trotzdem jede:n an.
Als ich am Ende die Rechnung zahlte und wir beide darauf warteten, dass das Kartenzahlgerät seine Verbindung etablierte, fragte ich sie, ob sie echt komplett alleine sei. Ja, sagte sie. Eine Kollegin habe sich heute krankgemeldet, und was mit der anderen war, habe ich akustisch im ganzen Lärm leider nicht verstanden und hatte keine Chance, nachzufragen – denn die Zahlung war durch, sie wünschte mir noch einen tollen Abend und verschwand mitsamt der Maschine.
Höchsten Respekt für die Stressresistenz meiner Bedienung.
Was derweil der Typ machte, der mich an den Platz geführt hatte? Entweder war der nicht zu sehen oder er führte neue Leute an ihre Plätze, die er sodann wieder der einsamen Servicekraft überließ.
Die Bestellung
Die Karte ist reichhaltig mit allem Möglichen bestückt. Von Fish & Chips bis Fish Tacos, von Pizza bis Pasta (einschließlich der berüchtigten Mac & Cheese), von Burgern bis zu Slow-Roasted Pork Back Ribs gab es irgendwie alles. Ich entschied mich für eine Pizza, und da mir schon klar war, dass das hier allenfalls italienisch-inspired sein würde, nahm ich auch gleich das, was am allerwenigsten nach Italien und am allermeisten nach Nordamerika aussah.
Die Whisky BBQ Chicken Pizza

Klingt »Whisky BBQ Chicken« nach etwas, was in Italien auf der Pizza liegen würde? Nein? Gut. Denn das war das, was ich wählte.
Jede Pizza kann in vier Größen geordert werden. Am Nachbartisch saß jemand, der einen Teigfladen mit vielleicht 15 cm Durchmesser vor sich hatte, der in vier Teile geschnitten war. Das war die Größe »I«, was für »Individual« steht – also für eine Person alleine. »S« für »Small« ist dann offensichtlich schon zum Teilen gedacht. Und dann gibt es »M« und »L«, also »Medium« und »Large«.
Ich orderte eine »Small« und vermutete einfach, dass das unsere »normale« Bringdienst-Größe sein würde, und behielt mit der Vermutung Recht. Das Ding war am Ende so um die 25 cm im Durchmesser.
Nach geraumer Zeit lag der Teigfladen vor mir und war in 8 Teile geschnitten.
Obwohl Boston Pizza behauptet, italienisches Essen zu servieren, ist das nicht korrekt. Denn die hier servierte Pizza hat nichts mit italienischer Küche zu tun – außer der runden Form und dem generellen Konzept, Dinge auf einen Teig zu packen und dann zusammen zu backen. Alles andere war eindeutig amerikanisch. Und das ging los mit dem Teig.
Der Pizzateig
Natürlich fand ich ganz zuunterst nicht etwa einen echten Pizzateig, sondern einen dicklichen, aufgeplusterten, leicht öligen Boden. Das resultierende Gericht nennt man »Pan Pizza« und kennt es hierzulande vornehmlich von Pizzabringdiensten, oder halt dem US-amerikanischen Schnellrestaurant »Pizza Hut«. In keiner anständigen italienischem Gastronomie werdet ihr jemals eine Pan Pizza serviert bekommen.
Die Hauptattraktion der Pizza schien aber ohnehin nicht der Teig, sondern die J.P. Wiser’s Whisky BBQ sauce zu sein, die auf dem Teig statt Tomatensoße als Grundlage verteilt war.
Die J.P. Wiser’s Whisky BBQ sauce
J.P. Wiser‘s ist ein kanadischer Rye-Whisky, und da ich Whisky-Liebhaber bin, ist mir der Markenname bekannt. Im Übrigen ist es überhaupt gar nicht im Rahmen des Möglichen, dass Whisky der primäre Grund für meine Pizza-Wahl war. Ganz sicher nicht. Bestimmt. Schwör schwör!
Whisky aus Roggen (Rye), das muss ich gleich vorweg sagen, ist nicht gerade mein Lieblingswhisky. Ich genieße lieber schottische Whiskys, die aus Gerste gemacht werden. Ganz besonders liebe ich jene von der Südhälfte der Isle of Islay.
Denn kanadischer Rye ist mir einfach viel zu lasch.
Das charakteristische Geschmacksprofil von Rye-Whiskys ist süßlich mit einigen pfeffrigen Akzenten. Oft schmecken sie aber vor allem nach Karamell, Toffee oder Vanille und sanft nach Früchten wie Äpfeln und Birnen. Die runde Geschmeidigkeit und Balance ohne große Komplexität macht sie für Whisky-Neulinge interessant.
Dagegen verkörpern meine Lieblinge, die Islay Single Malts, einen völlig anderen, viel wilderen und komplexeren Charakter. Diese schottischen Destillate sind berühmt-berüchtigt für ihre kräftigen torfig-rauchigen Aromen. Die Destillerien der südlichen Insel – wie Ardbeg, Laphroaig und Lagavulin – verwenden Torf beim Darren des Malzes und setzen das braune Torfwasser in jeder Produktionsphase ein. Daraus resultieren außerordentlich kräftige Whiskys mit Aromen von Rauch, Teer, Jod und Karbol. Aber selbst die erheblich milderen nördlichen Destillerien der Insel – wie Bruichladdich und Bunnahabhain – sind ganz sicher nichts für Einsteiger:innen.
Genug des Whisky-Exkurses, zurück zur BBQ-Soße.
Da es die J.P. Wiser’s Whisky BBQ sauce nicht es nicht fertig zu kaufen gibt, muss sie wohl hausgemacht sein. Auf der Website der Distille war früher mal ein Rezept dafür veröffentlicht – wie gesagt: war. Jetzt ist da allerdings nicht mehr zu finden. Das Internet vergisst jedoch nichts, und so fand ich es für euch in der WayBackMachine von archive.org und habe es ins Deutsche und ins metrische System übertragen. Wer diese BBQ-Soße also nachmachen möchte: bittesehr. Klickt auf das kleine Dreieck inm nächsten Absatz.
Rezept: J.P. Wiser’s Deluxe BBQ-Soße
Zutaten
120 ml J.P. Wiser’s Deluxe Canadian Whisky
4 ml Rapsöl (ca. ¾ Teelöffel)
1/4 Zwiebel, fein gehackt
160 ml Ketchup
120 ml Apfelessig
1 Teelöffel Worcestershiresauce
1 Esslöffel Tabasco
3 Tropfen Liquid Smoke
Zubereitung
1) Rapsöl in einem mittelgroßen Topf bei mittlerer Hitze erwärmen.
2) Zwiebel zugeben und glasig anschwitzen.
3) Mit J.P. Wiser’s Deluxe ablöschen und die restlichen Zutaten hinzufügen.
4) Mit dem Schneebesen gründlich verrühren.
5) 20 Minuten sanft köcheln lassen, anschließend auf Zimmertemperatur abkühlen.
Mein persönlicher Tipp: Statt J.P. Wiser’s Deluxe könnt ihr auch Ballantine’s Finest oder den Standard-Jameson nutzen – die haben ein ziemlich identisches Profil, schmecken aber beide deutlich besser. Und wenn ihr den Whisky aus dem Rezept durch einen besonders rauchigen Islay-Whisky tauscht, zum Beispiel einen Ardbeg, benötigt ihr keine chemischen Liquid-Smoke-Tropfen mehr. Aber das wäre mir ehrlich gesagt zu schade um den Ardbeg.
Und jetzt kommt nach der ganzen langen Abhandlung nur diese kurze Bewertung: Vom Whisky habe ich bei der Soße nichts geschmeckt. Das war halt ‘ne stinknormale, sehr würzige BBQ-Soße, die ihren Job ganz gut gemacht hat.
Das BBQ-Hähnchen und der Bacon
Nun war schon eine kräftige BBQ-Soße auf der Pizza. Vom BBQ-Hähnchen war natürlich nichts zu schmecken, zumal ich annehme, dass es mit derselben BBQ-Soße mariniert oder glasiert worden ist. Die gegarten und überraschend saftigen kleinen Würfelchen (ca. 1 cm Kantenlänge) von der Hühnerbrust waren also geschmacklich indifferent, gaben aber immerhin ein angenehmes Mundgefühl.
Der Bacon war kein Frühstücksbacon, bestand also nicht aus Scheiben, sondern war am Stück bearbeitet worden. Auch er war gewürfelt, und zwar in der gleichen Größe wie das Huhn. Er hatte sehr intensive, herzhaft rauchig-salzige Aromen, was hervorragend zum BBQ-Style der Pizza passte und zugegebenermaßen das Erlebnis verbesserte.
In Balsamico geröstete rote Zwiebeln
Auf der Pizza gab es – leider zu wenig – in Balsamico geröstete rote Zwiebeln. Davon fand ich ein paar Stücke, die so weit weg von der BBQ-Soße waren, dass ich sie separat verkosten konnte. Sie hatten eine herrliche, süß-säuerliche Note, waren schön zwiebelig ohne dabei zu zwiebeln und haben mich einfach sehr, sehr beglückt.
Der Käse
Wie immer in Nordamerika war alles vollgeklatscht mit Käse, in diesem Fall einer fein geriebenen Mischung aus »Mozzarella« und »Cheddar«. Ich setze das in Anführungszeichen, weil es geradezu blasphemisch ist, diesen Industrieprodukten derartige Bezeichnungen zu geben.
Unter »Mozarella« versteht man in den USA und Kanada einen meist aus Kuhmilch industriell hergestellten, halbfesten Schnittkäse. Der hat nichts (nichts!) mit echtem Mozarella zu tun. Wir kennen das Zeugs als geriebenen »Pizzakäse« aus der Plastiktüte im Supermarkt-Kühlregal. Er bildet beim Backen lange Fäden und sorgt für den typischen »Stretch«, schmilzt gleichmäßig und hinterlässt eine elastische, feuchte Schicht auf der Pizza. Sein Geschmack ist milchig, mild und wenig interessant, sodass Soße und Toppings im Vordergrund stehen.
Das käsige Aroma soll dann der »Cheddar« liefern. Auch der hat in Nordamerika nicht viel mit seinem englisch-irischen Namenspaten gemein, außer dass er wie echter Cheddar eine meist gelb-orange Farbe besitzt (Ausnahmen bestätigen die Regel). In Nordamerika wird er allerdings – wie könnte es anders sein – massenhaft industriell hergestellt. Er ist ebenso ein processed cheese wie der »Mozzarella« – wir kennen das Zeugs als »Scheiblettenkäse« (okay, das ist nicht ganz identisch, aber doch ziemlich). Dieser »Cheddar« schmilzt zwar ebenso leicht, bildet aber weniger Fäden als »Mozzarella«. Seine Aufgabe auf einer Pizza ist es, dem langweiligen »Mozarella« zusätzliche Tiefe und einen volleren Geschmack zu geben sowie eine appetitlich goldgelbe Färbung beizusteuern.
Ich sagte schon: Die Pizza war vollgeklatscht mit dem Zeug.
Warum nur liegt in den USA und Kanada überall so viel Käse auf den Gerichten? Das ist ja nicht nur bei Pizza so – es gibt ganze Gerichte, die sich ausschließlich um Käse drehen, und dann auch noch mit diesem hochverarbeiteten Zeug! (»Mac & Cheese« – es ist einfach WI-DER-LICH!) Was soll das? Wo bleibt da der Genuss?
Wollt ihr eine Antwort?
Okay:
Die übermäßige Käseverwendung in der nordamerikanischen Küche hat keine kulinarischen Gründe, sondern ist das Ergebnis industrieller Logik: Staatliche Subventionen, technologische Innovation und die Anforderungen der Massenproduktion schufen ein System, in dem hochverarbeiteter Käse zum kostengünstigen Standard wurde. »Mozzarella« und »Cheddar« dominieren dabei nicht wegen ihrer geschmacklichen Überlegenheit, sondern wegen ihrer industriellen Eigenschaften – ein fundamentaler Unterschied zu den gewachsenen, regional geprägten Käsetraditionen hier in Europa.
Ist doch schade.
Nur eine Sache war positiv: Die Menge an geschmolzenem Käse wirkte der überwältigend kräftigen BBQ-Soße geschmacklich entgegen. Das machte die Pizza tatsächlich besser.
Das Buttermilch-Ranch-Dressing
Es ist unwahrscheinlich, dass ihr in Deutschland schon einmal Ranch-Dressing gefunden habt. Oder etwa doch?
Ranch ist ein cremiges, kräuteriges Dressing auf Basis von Buttermilch und Mayonnaise, gewürzt mit Knoblauch, Zwiebel, Pfeffer und Kräutern wie Dill, Schnittlauch und Petersilie. Seit Jahrzehnten ist es die beliebteste Salatsoße in den USA und offenbar auch Kanada, weshalb es als Dip und Allzweck-Soße gefühlt auf allem landet. Insbesondere auf Pizza kommt es zum Einsatz – warum auch immer.
Einzeln konnte ich das Dressing auf der Pizza nicht schmecken – es war einfach nicht intensiv genug, um gegen den BBQ-Geschmack anzugehen. Allerdings änderte sich das Mundgefühl der Pizza durch das Dressing, und das durchaus zum Angenehmen.
Das Fazit der Pizza
Gekostet hat die Small-Variante der Whisky BBQ Chicken Pizza von Boston Pizza 22.29 CAD netto, das sind 13,85 EUR vor Steuern – der Preis geht damit für mich klar.
Insgesamt schmeckte die Pizza erwartungsgemäß kräftig nach BBQ-Soße, hatte alles in allem ein ordentliches Mundgefühl und machte satt. Der Teigfladen war allerdings derart geschmacksintensiv, dass sämtliche Komponenten dahinter verblassten und auf der Gabel nicht zu schmecken waren (außer man separierte einzelne Komponenten, so wie ich das mit den Zwiebeln gemacht habe – das geht halt nur nicht mit allem). Den Whisky in der BBQ-Soße halte ich für völlig verschwendet – den kann einfach niemand rausschmecken, und für nuancierte Aromen ist der J.P. Wiser’s Deluxe einfach nicht gut genug. Aber alles in allem war meine Wahl der Pizza schon ganz okay.
Versteht mich nicht falsch: Der Pizzabringdienst bei mir im Dorf hat eine ähnliche BBQ-Pizza im Programm, nur mit Rinderhackfleisch statt Huhn und Bacon, und die ist auch »schon ganz okay«. Boston Pizza hat also das Niveau des Pizzabringdienstes in einem norddeutschen 4.000-Seelen-Dorf.
Und das muss ich bei der Bewertung auch berücksichtigen. Die »Whisky BBQ Chicken Pizza« von Boston Pizza bekommt 6 von 10 Punkten von mir.
Der Nachtisch: Ein nicht ganz so irischer Irish Coffee

In den Filialen von Boston Pizza wird eine spezielle Variante des Irish Coffee angeboten, die sich durch eine wesentliche Zutat vom klassischen Rezept deutlich unterscheidet. Und das wollte ich doch einmal als Nachtisch nach meiner Pizza testen.
Ein traditioneller Irish Coffee, wie er von der International Bartenders Association anerkannt wird, besteht aus diesen vier Zutaten:
- Heißer schwarzer Kaffee
- Irischer Whiskey
- Zucker
- flüssige Sahne
Bei der klassischen Zubereitung werden Zucker, Whiskey und heißer Kaffee in ein vorgewärmtes Glas gegeben und so lange umgerührt, bis der Zucker aufgelöst ist. Anschließend wird die gekühlte, flüssige Sahne vorsichtig über einen Löffelrücken auf den Kaffee gegossen, sodass sie eine separate Schicht auf der Oberfläche bildet und sich nicht mit dem Kaffee vermischt. (Wie das alles genau geht, zeigt das Video der IBA auf YouTube.) Der Kaffee wird dann durch diese Sahneschicht hindurch getrunken.
Der frappierendste Unterschied zwischen diesem Standardrezept und dem Irish Coffee von Boston Pizza ist die Zugabe von Kahlúa, einer Kaffeelikörmarke aus Mexiko. Das traditionelle Rezept enthält natrlich keinerlei Likör; die Süße stammt ausschließlich vom braunen Zucker – und der fehlte hier dafür komplett.
War das schlimm? Eigentlich nicht – ich fand das Ergebnis überraschend gut. Der Kahlúa fügte dem Getränk eine angenehme, cremige Textur hinzu, während traditioneller Irish Coffee sich einfach nur anfühlt wie normaler schwarzer Kaffee mit Schuss. Diese Cremigkeit milderte auch die Schärfe des Alkohols aus dem Jameson Irish Whiskey ab.
Eine weitere Auffälligkeit war nur visuell, denn das Getränk war braun, nicht schwarz, wie »normaler« Irish Coffee. Außerdem kam die Sahne hier aus der Sprühflasche und wurde nicht kunstvoll angeschlagen. Aber das sei mal geschenkt.
Als Irish Coffe wäre das eine 0 von 10 Punkten gewesen. Mexikanischer Kaffeelikör in irischem Kaffee? Eindeutig Thema verfehlt. Aber als alkoholisches Heißgetränk ist das schon irgendwie lecker. Und so gebe ich dem Ding 7 von 10 Punkten.
Und das heißt: Ja, das trinke ich gern noch einmal, aber dafür eine Flasche Kahlúa kaufen käme für mich jetzt nicht in Frage.


