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Schweinsbraten im Stöckl im Park Wien

»Wien, nur Wien, du kennst mich up, kennst mich down«, so sang Falco in »Vienna Calling«. Genau so geht es mir jedes Mal, wenn ich in der Stadt an der Donau bin. Denn jedes Mal, wenn ich in der Stadt an der Donau bin, fühle ich mich nicht nur kulturell, sondern auch kulinarisch rundherum verstanden.

Heute war ich mit meiner Familie bei 36 °C Außentemperatur im »Stöckl im Park«. Der Besuch war nur eine Notlösung, denn der Laden, bei dem wir eigentlich reserviert hatten, war überraschenderweise geschlossen. Ein handgeschriebener Zettel an der Tür ließ uns etwas ratlos zurück. Denn wir hatten Hunger, und es war gerade 18:45 Uhr, also überall Hochbetrieb in den Restaurants. Und wir waren mit sechs Personen unterwegs – die kriegt nicht jeder Laden mal eben unangekündigt unter.

Das »Stöckl« lag nur ein paar Hundert Meter von unserem eigentlichen Restaurant entfernt. Normalerweise hätte ich das gar nicht angesteuert, denn die Bewertungen zum Essen und zum Service sind ziemlich durchwachsen, besonders, wenn man nicht nur auf einer Bewertungsplattform schaut. Viele Gäste loben das freundliche Personal, das schöne Ambiente und die Qualität mancher Gerichte. Andererseits gibt es aber auch die exakt gegenteiligen Rezensionen: harsche Kritik an einzelnen Speisen, die teilweise als lieblos zubereitet oder nur aufgewärmt empfunden werden, an der Lautstärke und am Preis-Leistungs-Verhältnis. Und der Service wird für meinen Geschmack viel zu häufig als viel zu lausig beschrieben.

Aber es war einfach nichts anderes in der Nähe, das mal eben spontan Platz für sechs Personen bot. Es half also nichts – notgedrungen mussten wir hinein.

Das Ambiente

Das »Stöckl im Park« ist eine Brauerei und Gaststätte im 3. Wiener Bezirk, gelegen im Schwarzenberggarten an der Prinz-Eugen-Straße. Es verfügt nicht nur über einen Gastraum (vielleicht sind es sogar mehrere, das habe ich in der Eile nicht richtig sehen können), sondern vor allem auch über einen weitläufigen, sehr schönen Biergarten mit laut Website 4.000 Quadratmetern Fläche und schattigen Bäumen. Den haben wir aber wegen der drückenden Hitze gar nicht in Betracht gezogen – wir haben stattdessen im kühlen Souterrain Platz genommen.

Die Einrichtung dieses Souterrains war modern und zweckmäßig, aber doch mehr oder weniger rustikal-gemütlich – eine seltsame Mischung, die ich auch jetzt in der Nachbetrachtung nicht richtig greifen kann, die aber irgendwie doch stimmig zusammenpasst. Wir saßen auf erstaunlich bequemen Sitzbänken an zwei aneinander geschobenen quadratischen Holztischen ohne Tischdecken oder anderen Schnickschnack. Bonus bei dieser Platzierung: Die Getränketheke war in unmittelbarer Nähe, das gezapfte Kaltgetränk kam perlend frisch an den Tisch.

Der Service

Wir wurden von Christian bedient, einem dauerlächelnder Mann irgendwo in seinen 20ern, 30ern oder 40ern (absolut unmöglich zu sagen), der uns sofort gutherzig duzte, obwohl viel, viel, VIEL ältere Personen am Tisch waren. Seine Augen blitzten, seine Stimme war warm, und seinen Wiener Dialekt hatte er klar unter Kontrolle. Für mich als Norddeutscher war nicht einmal auszumachen, ob er überhaupt wirklich herumwienern könnte – er sprach nämlich so bemüht Deutsch mit uns doofen Piefkes, dass er am Ende, als es um den Nachtisch ging, grundsätzlich nur von »Sahne« sprach, obwohl doch jede:r weiß, dass das hierzulande »Obers« heißt.

Aber ich ahne, warum der Service in den Bewertungen so widersprüchlich bewertet wird. Denn für viele meiner ach-so-zartbesaiteten Landsleute kommt alles Österreichische irgendwie »grantelnd« daher. Insbesondere der Wiener Dialekt wird pauschal als »arrogant«, »überheblich« und »pikiert« empfunden, so als blicke das ganze hochkulturelle Wien naserümpfend auf die primitiven Piefkes aus dem Flachland herab. Wenn man aber so empfindet und dann auch noch mir-nichts-dir-nichts einfach so von einer in der sozialen Hackordnung weeeeeeeeit unter einem stehenden Servicekraft ungefragt geduzt wird, dann wird der Service halt als schlecht wahrgenommen. Weil man ihn als schlecht wahrnehmen will, nicht weil er schlecht ist.

Zurück zu unserem Service: Wir fanden ihn nicht schlecht. Nein, ganz und gar nicht. Der Laden brummte, Christian und seine Kolleg:innen hatten alle Hände voll zu tun, und trotzdem war das ganze Personal immer mit einem Lächeln da, standen unsere Getränke schnell auf dem Tisch, und auch das Essen ließ nicht lange auf sich warten.

Die Bestellung

Apropos Essen.

Mein Sohn, meine Frau und meine Schwägerin bestellten sich das Wiener Schnitzel, meine Schwiegermutter das Biergulasch vom Weiderind und mein Schwiegervater den Zwiebelrostbraten, auch vom Weiderind. Dazu werde ich hier aber nichts sagen, obwohl ich überall mal genascht habe. (Nur eins: Der Kartoffelsalat, der zum Wiener Schnitzel kommt, war phänomenal.)

Ich orderte den Schweinsbraten mit Bierkraut, Grammeln und Serviettenknödel für einen Preis von 19,90 Euro. Dazu nahm ich einen halben Liter Wiener Helles 1924 mit einer Stammwürze von 12,2° und 4,90 % Umdrehungen zu 5,40 Euro.

Was diese Grammeln sind, wusste ich nicht. Aber ich bin ja schließlich in Österreich, um meinen Horizont zu erweitern, statt aus lauter Angst vor Neuem schon wieder zu Kentucky Mc King zu rennen.

Als die Gerichte dann nach einiger, aber nicht zu langer Zeit kamen, sind mir fast die Augen aus dem Kopf gefallen.

Vor mir stand eine Pfanne mit 24 cm Durchmesser, randvoll mit Fleisch, Kraut, Knödeln und Soße. Für die Gesundheit gab’s auch noch ein wenig gehackte Petersilie obendrauf. Ach ja, und irgendwo waren auch noch diese Grammeln. Oder war »Grammeln« womöglich österreichisch für gehackte Petersilie? Ich konnte nicht nachschauen, denn im Souterrain hatte ich keinen Empfang.

Der Duft, der der Pfanne entströmte, war ziemlich verführerisch. Das musste ich sofort probieren!

Die Soße

Der erste Bissen, und sofort war die Soße da.

Viel zu oft wird in der Gastronomie eine hauptsächlich salzige Bratensoße aus der Tüte serviert. Bäh.

Aber diese hier?

Klar, das Salz war auch hier mit dabei, ja, aber sie war eben auch irgendwie anders. Ein Hauch von Bitternoten wie aus Schwarzen Johannisbeeren, eine zarte, leichte fruchtige Süße, gleichzeitig noch umami – diese Bratensoße war eine wahre Geschmacksexplosion. Sie war wunderbar. Sie war komplex, und das ist ein Attribut, das ich in meinem ganzen Leben wohl noch nicht im Zusammenhang mit einer Bratensoße benutzt habe.

Heute muss ich es benutzen. Diese Bratensoße war komplex, sie knallte, sie schmeckte fantastisch. Ich liebe diese Soße!

Wenn nun aber schon die Bratensoße so gut ist, wie wird das wohl bei den anderen Komponenten sein? Beim Bierkraut? Beim Schweinsbraten? Bei den Serviettenknödeln? Und bei diesen mysteriösen Grammeln?

Das Bierkraut

Anders als Sauerkraut wird Bierkraut nicht fermentiert, sondern der geschnittene Kohl wird mit (meist hellem) Bier, angeschwitzten Zwiebeln und Gewürzen geschmort, je länger, desto besser. Manchmal ist noch Speck dabei oder anderes Fleisch, das dann für eine besondere Note sorgt. Bierkraut ist eine tolle Beilage für alle möglichen Gerichte. Außerdem ist es super für gewisse rumpubertierende Familienmitglieder, denen die Säure von Sauerkraut aufstößt. Denn Bierkraut ist viel milder.

Ich kenne Bierkraut so, dass es als eigenständige Komponente auf dem Teller angerichtet liegt. Daneben finden sich dann Knödel (Fleisch ist optional), und dazu gibt es dann einen Klecks Soße – in der Regel viel zu wenig für die häufig recht trockenen Knödel.

Über zu wenig Soße konnte ich mich beim Schweinsbraten im »Stöckl im Park« auf jeden Fall nicht beschweren – denn hier war das Gericht nicht auf einem Teller angerichtet.

Sondern in einer Pfanne.

Eine Pfanne, die randvoll mit Soße war. So randvoll, dass das Bierkraut sich damit vollgesogen hatte. Es war mir vollkommen unmöglich, das Kraut als solches zu schmecken.

Wäre das ein Sauerkraut gewesen, hätte es sich wenigstens durch seine säuerliche Note von der Soße abgehoben. Aber mildes Bierkraut? Das ordnete sich der Dominanz der Soße leider gänzlich unter und fügte für mich lediglich eine sensorische Wahrnehmung hinzu, nämlich in Form von weicher Masse.

Und das ist schade, denn wenn ich ausschließlich nach der Sensorik gehe, scheint mir das ein hervorragendes Bierkraut gewesen zu sein. »Weiche Masse« klingt eklig, aber hier ist das eigentlich ein Qualitätsmerkmal. Superweiches Kraut ist ein Zeichen dafür, dass es sehr lange geschmort wurde – das ist ein Aufwand, der im eiligen Hopplahopp von Gastronomieküchen nur selten durchgeführt wird, weil Aufwand nämlich teuer ist.

Ich würde das Kraut echt mal gerne direkt aus dem Topf probieren. Denn ich vermute, dass es für sich genommen dieselbe hohe Güte wie die Soße hat. Jammerschade, dass diese Qualität im wahrsten Sinne des Wortes in einer Pfanne untergehen muss.

Der Schweinsbraten

Insgesamt wurden mir drei großzügige Scheiben Schweinsbraten serviert. Das Fleisch war wunderbar zart – ich hätte es mit einem Löffel zerteilen können. Nirgends, wo ich einen Schweinebraten gegessen habe, habe ich bisher eine derartige Zartheit erlebt. Häufig ist das Fleisch dröge und trocken – hier nicht. Es schmolz mir förmlich im Mund. Ganz offenbar kauft das »Stöckl im Park« für seinen Schweinsbraten ein richtig hochwertiges Stück Fleisch ein, das dann mit viel Können schonend über einen längeren Zeitraum zubereitet wird. Wie schon beim Bierkraut: Je länger es geschmort wird, desto zarter wird es. Hier denkt also jemand mit. Hier möchte jemand hervorragend gegarte Produkte servieren.

Aber dann kommt die Pfanne.

Und in dieser Pfanne wird der Braten in einer Soße ersäuft. Eine fantastische Soße. Aber ersäuft ist ersäuft.

Es war ein Elend. Wie schon zuvor beim Bierkraut – ich hatte keinerlei Chance, den Braten an sich zu genießen. Alles schmeckte bloß schon wieder nach dieser fulminanten Soße. Das Fleisch fügte dem Ganzen lediglich ein weiteres Mundgefühl hinzu.

Der Serviettenknödel

Ich kann es nicht oft genug wiederholen, wie toll die Soße war. Ich meine das wirklich. Natürlich waren auch die Serviettenknödel tief in diese Soße getaucht. Entsprechend schmeckten sie auch ausschließlich danach. Aber das hat mich hier mal ausnahmsweise nicht gestört.

Jetzt brauchen wir einen kleinen Exkurs.

Kennt ihr Stangenei? Nein? Dann schaut mal kurz hier vorbei, bevor ihr weiterlest.

Habt ihr gelesen? Habt ihr gesehen?

Okay, jetzt, wo ihr Stangenei kennt, kommen wir zum Serviettenknödel zurück. Denn als ich von diesen Scheiben aß, sprang mir alles Negative in den Kopf, was ich mit Stangenei assoziiere. Irgendwie wabbelig, industriell, unschön, auch ein bisschen unappetitlich.

Ausgerechnet.

Denn ich hatte mich wegen des Knödels für dieses Gericht entschieden.

Normalerweise ist Schweinebraten ja nicht so toll zart wie dieser, sondern dröge und trocken. Normalerweise hätte ich mich darum für den Zwiebelrostbraten entschieden, den mein Schwiegervater nun mit großem Appetit verschmauste und der fantastisch aussah. Aber ich liebe nun mal Semmelknödel, Serviettenknödel, Speckknödel und all diese süddeutschen und österreichischen Herrlichkeiten, und bei uns im Norden kriege ich die nirgends. Darum war der Serviettenknödel für mich ausschlaggebend für meine Bestellung.

Und dann diese Enttäuschung. Das konnte dann auch die phänomenale Soße nicht retten.

Die Grammeln

Lasst euch noch einmal kurz daran erinnern, dass ich keinen Plan hatte, was »Grammeln« sind. Mangels Internetempfang konnte ich auch nicht vor Ort nachschauen. Meinte das vielleicht tatsächlich die Petersilie?

Nun: nein.

Grammeln haben nichts mit Petersilie zu tun. Die gute, alte Petersilie heißt auf Österreichisch übrigens »Petersil« und ist überraschenderweise männlichen Geschlechts, also »der Petersil«. Da klappt dem Gastronator aus dem dialektfreien Hochdeutschland doch vor lauter regionaler Besonderheit glatt das Kinn in die leckere Bratensoße.

Dieses sprachliche Zuckerl konnte ich jetzt, wo ich im Hotel sitze und diesen Text schreibe, im Internet in Erfahrung bringen.

Und bei der gleichen Gelegenheit habe ich mal nach »Grammeln« geschaut. Aha! Da wo ich herkomme, sind das »Grieben«. Sie entstehen, wenn roher Schweinespeck in kleine Würfel geschnitten und gaaaaaanz langsam erhitzt wird, sodass das Fett ausläuft und nur die knusprigen Rückstände übrig bleiben. (Und wie die knuspern!)

Diese Grammeln waren als eine Art Topping über das ganze Gericht gestreut, so wie Croutons über einen überteuerten Salat. Sie knusperten unwirklich gut, und das, obwohl sie die ganze Zeit über in der Soße lagen und eigentlich hätten weich werden müssen. Das ist doch schon wieder ein Zeichen einer exzellenten Küche.

Die Grammeln retteten tatsächlich die ganze Pfanne. Denn immer mal wieder, wenn ich eine Gabel voll mit irgendwas nahm, überraschte mich die Knusprizität eines kleinen Speckwürfels, der sich irgendwo reingemogelt hatte – in das Kraut oder auf ein Stück Fleisch, und mit ein paar Grammeln wurden sogar die Knödel erträglich.

Die schiere Menge und ein Fazit

Die Masse an Nahrung, die vor mir in dieser Pfanne lag, hat mich komplett überwältigt. Drei Stück Fleisch, eine recht großzügige Portion Kraut und die Serviettenknödel als Sättigungskomponente, dazu die reichhaltige Soße und auch noch die Grammeln – etwas mehr als zwei Drittel der Portion habe ich geschafft, dann musste ich aufgeben. (Ich gebe aber mal vorsichtshalber dem gehackten Petersil die Schuld dafür, dass ich nicht aufessen konnte.) Der Preis für den Schweinsbraten liegt bei 19,90 Euro – das Preisleistungsverhältnis ist, bezogen auf die Portionsgröße, der Hammer.

Aber lieber wäre mir offen gesagt eine kleinere Portion mit klarer definierten Komponenten, die ich dann auch differenziert schmecken und separat genießen kann.

Liebes »Stöckl im Park«, ich glaube, dass ich diesem Gericht heute Abend eine Schulnote 2 (mit Fleißbienchen!) hätte geben können, wenn ihr es mir einfach auf einem Teller serviert hättet, statt es in dieser unfassbar leckeren Soße zu ersaufen. Rustikaler Schick solcher Pfannenpräsentationen hin und her, aber wenn alles einheitlich nach Soße schmeckt, ganz egal, wie gut sie ist, bleibt die Gaumenfreude echt auf der Strecke. Und das ist schade. Denn wie ich oben mehrfach angemerkt habe – ich konnte es fühlen, wie gut ihr in Wahrheit kochen könnt.

Naja, bis auf den Knödel. Bei dem ist irgendwas furchtbar schiefgegangen.

So komme ich für dieses Gericht leider, leider nur auf eine 4 (immerhin auch mit Fleißbienchen).

Das gute Ende kommt zum Schluss

Natürlich gab’s noch einen Nachtisch. Ein Eis (mit Schlagsahne? WTF, Christian! Wir sind hier doch nicht in Hochdeutschland!) für den Sohn, die Schwägerin und den Schwiegervater, ein Kleiner Brauner für mich.

Ein Kleiner Brauner, wie er in Wien serviert wird.
Ein Kleiner Brauner, wie er in Wien serviert wird.

Ein Kleiner Brauner ist eine klassische Wiener Kaffeespezialität.

Er besteht aus einem Mokka (in Österreich versteht man darunter einen dem Espresso nicht unähnlichen Kaffee, der aber mit längerer Extraktionszeit und geringerem Druck als ein echter italienischer Espresso zubereitet wird) und wird mit einem Schuss Milch oder auch Schlagobers serviert (also Sahne – für all jene, die es noch immer nicht kapiert haben. Looking at you, Christian!). Der Name »Brauner« leitet sich übrigens von der Färbung ab, die der Kaffee durch die Milch oder den Schlagobers erhält.

Die Milch (oder der Obers) wird üblicherweise in einem kleinen Kännchen dazu gereicht, damit man die gewünschte Menge selbst hinzufügen kann, so natürlich auch im »Stöckl«. Ich habe, gierig wie ich nun mal bin, die komplette Milch hineingegeben. Sie war heiß und ein bisschen aufgeschäumt.

Und so kam ich zum besten Kaffee, den ich seit Langem getrunken habe.

Ein versöhnliches Ende also im »Stöckl« für mich.

Mit diesem Bericht habe ich diesen Blog nach 13 langen Jahren reaktiviert. Unglaublich.