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SANDWICH Huber’s im Huber’s Wien

Noch immer bin ich in Wien. Gestern war ich im »Stöckl im Park«, heute auf der anderen Seite des Belvedere, nämlich im »Huber’s« im Rennweg. Und weil es heute Abend für mich gern etwas leichter sein durfte als gestern, orderte ich mir das nach dem Haus benannte Sandwich. Doch der Reihe nach.

Das Ambiente

Wenn du ins »Huber’s« eintrittst, findest du dich in einer ziemlich modernen und glatten Welt wieder. Der Boden ist hell gefliest, eine riesige Theke dominiert den Raum. Große Glasscheiben lassen viel Licht in den recht kleinen Gastraum. (Im ersten Stock gibt es noch einmal Platz für 40 weitere Personen). Das Flair des Ladens ist auf ganz andere Weise ähnlich wie im »Stöckl« gestern – formal dürften die Einrichtungselemente überhaupt nicht zusammenpassen, und trotzdem kam ich nicht umhin, mich sofort wohlzufühlen.

Wir wurden an zwei zusammengerückte, recht kleine quadratische Tische gewiesen, die in der Ecke platziert waren. Die Tische hatten ein zentrales Tischbein mit einem schweren Fuß, was uns dabei half, unsere Beine gut sortieren zu können. Denn an jeder der geschätzt unter einem Quadratmeter kleinen Tischplatten mussten drei Personen mit insgesamt sechs unteren Extremitäten sitzen.

Wir saßen in der dunklen Ecke ohne Fenster. (Keine Sorge – es war hell genug.) An den beiden Wänden im Eck waren Holzbänke installiert. Ich trollte mich ans Tischende und quetschte mich auf diese Bank. Mit mir mussten auch noch meine Schwiegereltern leiden, wie sich im Laufe des Abends noch herausstellen sollte. Denn die Bänke waren alles andere als gemütlich. Darüber konnten auch die vielen riesigen Deko-Kissen nicht hinwegtäuschen, die, wo immer möglich, verteilt lagen und keinerlei praktischen Nutzwert hatten. Sie waren einfach viel zu riesig, um sie sich in den Rücken stopfen zu können.

Immerhin: Mein Sohn, meine Schwägerin und meine Frau hatten sehr bequeme Sessel mit wunderbar anzufassenden Stoffbezügen erwischt, in denen sie entspannt sitzen konnten.

Im Hintergrund plätscherte die ganze Zeit ruhige, chillige Bar-Musik – nichts Aufdringliches, nichts, was einem auf den Zwirn gehen könnte. Und damit das genaue Gegenteil dessen, was hier gerade an der Hotelbar läuft, wo ich sitze, um diese Zeilen zu schreiben. (Das ist nämlich der einzige Ort im Hotel, an dem das Wi-Fi stabil und schnell ist.) Aus den Lautsprechern dröhnt hier unangenehm und laut primitiv zusammengekloppte Stampfmusik, die nicht so recht zu wissen scheint, ob sie Schlager oder doch Techno sein will. Ich danke jedenfalls an dieser Stelle allen 3.000 Gottheiten der Menschheitsgeschichte für die Erfindung der AirPods Pro mit ihrer recht ordentlichen Lärmunterdrückung. (Allerdings könnte sich mal eine dieser Gottheiten darum kümmern, dass wirklich gar nichts mehr durchdringt.)

Aber ich schweife ab – zurück zum »Huber’s«.

Auch heute war es wieder sehr warm in Wien. Mit nur 25 °C zwar immerhin etwa zehn Grad kühler als gestern, dafür aber erheblich drückender. Das »Huber’s« hatte den Kampf dagegen erstaunlich erfolgreich mit nur zwei Dyson-Turmventilatoren aufgenommen. Denn der Gastraum war überraschenderweise angenehm kühl. Mehrfach habe ich mich umgeschaut, ob nicht doch irgendwo eine Klimaanlage versteckt war, aber konnte keine entdecken. Allerdings hatte meine Schwägerin den Luftstrom genau in ihrem Rücken – und das fand sie gar nicht so toll. »Hat irre gezogen«, sagte sie mir.

Mein besonderes Interesse weckte eine Vitrine, in der gut und gern drei Dutzend Flaschen mit honiggoldener Flüssigkeit verweilten. »Whisky!« dachte ich erfreut und stromerte zur Vitrine hinüber, um die Flaschen näher in Augenschein zu nehmen. Aber nein, kein Whisky. Bloß Bourbon, also amerikanischer Whiskey (mit »e«). Mit dem kann ich persönlich einfach nichts anfangen. Klar, es mag viele Bourbons geben, die objektiv betrachtet hervorragend sind.

Ich habe mal bei der vermutlich besten Whiskybar in Hannover, dem Oscar’s, an einem Bourbon-Tasting teilgenommen. Da waren schon wirklich exklusive Flaschen dabei. Ich erinnere mich an einen »Blanton’s Straight from the Barrel«, von dem die Flasche in Europa nur sehr selten unter 300 Euro zu haben ist, und auch der Rest der sechs Pours war hochwertig und -preisig. Und dennoch: Meinen Geschmack treffen Bourbons allesamt nicht. Sie sind mir im Wesentlichen zu süß, zu flach und zu langweilig. Selbst die, die von Kritikern hochgelobt werden. Ich bleibe darum bei den Iren (die haben übrigens auch ein »e« im Whiskey und zudem die ganze Sache auch erfunden), vor allem aber bei den Schotten. Meine bevorzugten Whiskys stammen allesamt von der Isle of Islay und knüppeln dir ein Stück rauchenden Torf in den Schlund, sobald du einen Schluck davon nimmst.

Aber ich schweife schon wieder ab. Darum geht’s hier gar nicht! Ich will doch das »SANDWICH Huber’s« besprechen!

Der Service

Erinnert ihr euch noch an die frühen 2000er, als plötzlich die Hipster-Bewegung ausbrach? Als sich wie aus dem Nichts normale Leute tätowieren ließen, was zuvor ausschließlich Seeleuten, Knastbrüdern, Rockergang-Mitgliedern und Punks vorbehalten zu sein schien? Als Männer sich wieder trauten, Vollbärte zu tragen? Lange, prachtvolle Vollbärte, die sie unfassbar gut pflegten? Und die im Kontrast zum sonstigen (scheinbaren!) Mir-doch-egal-wie-ich-rumlaufe-Outfit standen? Diese Typen mit den Hornbrillen, Second-Hand-Flanellhemden, Röhrenjeans und Hosenträgern? Die plötzlich wieder die Schiebermützen aus den 1930ern trugen?

Die erste Generation dieser Hipster ist jetzt zwischen 40 und 50, und einem davon gehört dieser Laden. Sein gepflegter Bart ist mittlerweile schlohweiß, die Tattoos am Arm hat er nicht weglasern lassen, und die Schiebermütze sitzt noch immer.

Zusammen mit einer Dame bediente er uns. Beide waren freundlich, professionell, aufmerksam, zurückhaltend. Allerdings blieben die schon gedeckten, aber bis zum Ende ungenutzten Wassergläser auf den relativ kleinen Tischen stehen und wurden nicht abgeräumt. Das hat den Platz dann doch ganz schön eingeschränkt.

Die Bestellung

Ich erwähnte es schon: Ich bestellte das »SANDWICH Huber’s«, weil ich gern etwas Leichteres als tags zuvor haben wollte. In der Karte war das so beschrieben: »Toastbrot mit Hühnerbrust, Tomate und Spiegelei an Blattsalat«, das Ganze für 16,20 Euro. Auch meine Schwägerin und meine Schwiegermutter wählten dieses Gericht, während mein Sohn und mein Schwiegervater das Wiener Schnitzel (mit Petersilkartoffeln statt mit Kartoffelsalat) orderten und meine Frau sich für einen Blattsalat mit Prosciutto und Melonen entschied.

Gruß aus der Küche

Plötzlich stand da diese Espressotasse vor uns. Darin eine grüne, schaumige Flüssigkeit: der Gruß aus der Küche (Grüße gehen zurück!).

Es handelte sich dabei um eine cremig pürierte Erbsensuppe mit Minze. Mein Sohn löffelte die Tasse in Nullkommanix leer, was ich mit einiger Verwunderung zur Kenntnis nahm, denn er hasst Erbsen. Überhaupt hasst er alles, was irgendwie gesund sein könnte. Teenager-Allüren halt. Was ich sagen will: Dieses Süppchen war richtig, richtig lecker.

So lecker, dass ich viel zu spät begriffen habe, dass ich vielleicht mal ein Foto davon machen sollte. Darum hier nur eines mit einer halb leeren Tasse. Sorry.

Hier gibt es zum Einstieg in den Abend gleich mal die Schulnote 1 von mir!

Erbsen-Minz-Suppe in einer Espressotasse
Erbsen-Minz-Suppe in einer Espressotasse

Überraschung! Noch eine Vorspeise!

Kurz darauf stand ein Korb mit ein paar Scheiben Weiß- und Graubrot auf dem Tisch, dazu eine längliche Porzellanschale mit kleinen Butterkügelchen und eine weitere Schale mit vielleicht 20 Oliven und einem knappen Dutzend Kapernäpfeln.

Kapernäpfel und Oliven in einer Porzellanschüssel
Kapernäpfel und Oliven in einer Porzellanschüssel

Überraschung! Noch ein Gruß aus der Küche! Dachten wir zumindest erst. Stimmte aber nicht. Aber darauf komme ich nachher noch. Was hatte nun diese kleine Überraschung kulinarisch auf dem Kasten?

Das Graubrot war ganz okay, für meine zugegebenermaßen verwöhnten norddeutschen Standards aber war es nichts Außergewöhnliches. Denn in der Region Hannover, wo ich herkomme, gibt es schließlich das Gersterbrot. Für mich ist das die Königin aller Graubrote, an dem sich der Rest zu messen hat. Dieses hier war auf einer Skala von 1 (frisches Gerster vom Handwerksbäcker) bis 6 (geschnittenes Industriegraubrot aus dem Discounter) eine solide 3+. Das Weißbrot kann ich nicht beurteilen – ich habe es nicht probiert.

Die Butter wurde uns in Kügelchen präsentiert und erwies sich als in einer perfekt streichfähigen Temperatur. Ich hatte das Gefühl, dass sie ganz leicht gesalzen war, aber das kann täuschen, weil ich direkt zuvor in einen Kapernapfel gebissen hatte. Ich liebe Kapernäpfel (und Kapern!), bekomme aber leider viel zu selten die Gelegenheit zu diesem Genuss, weil weder meine Frau noch mein Sohn Kapernäpfel oder Kapern mögen und sich beides daher nicht in unserer Küche findet.

Kapernäpfel sind die Früchte des Echten Kapernstrauchs, während Kapern dessen noch geschlossenen Blütenknospen sind. Der Hauptunterschied zwischen beiden liegt also im Entwicklungsstadium und Erntezeitpunkt.

Lässt man die Blütenknospen der Kaper am Strauch, entwickeln sich daraus nach der Blüte die Kapernäpfel (regional auch Kapernbeeren genannt). Sie sind deutlich größer und fester als Kapern, enthalten viele kleine Samen und werden ebenfalls eingelegt angeboten – wenn ihr sie denn finden könnt. In normalen Supermärkten gibt es sie eigentlich nur, wenn ein mediterranes Spezialitätenregal vorhanden ist.

Nach der Ernte werden sie einer Salzreifung unterzogen, dann gründlich gewaschen und anschließend in mildem Essig oder Olivenöl eingelegt. Danach sind sie außen knackig, innen buttrig und schmecken ausgewogen herb-säuerlich.

Ich mag Kapernäpfel normalerweise gern, die hier fand ich allerdings jetzt nicht so geil. Ihr Aroma war eben nicht ausgewogen, sondern ziemlich überwältigend und seltsam. Sie waren viel zu salzig, gleichzeitig aber auch unangenehm sauer. Mein Schwiegervater, der das erste Mal einen Kapernapfel aß, fand: »Schmeckt wie eine eingelegte Salzgurke.« Und damit kam er ziemlich nahe dran, finde ich. Er mag eingelegte Salzgurken, und so wanderten die Kapernäpfel einer nach dem anderen in seinen Bauch. Ich hatte nach dem Zweiten schon genug, weil der genauso schlecht war wie der Erste.

Kapernäpfel sind eigentlich eine Delikatesse. Diese hier waren es nicht, sondern mit Abstand die schlechtesten Kapernäpfel, die ich je gegessen habe.

Aber die Oliven, die waren richtig toll. Zart, fleischig, intensives und doch zurückhaltendes Oliven-Aroma, das mich an die Sorte Kalamon erinnerte, die aus der griechischen Region Messenien stammt (und oft unter dem Namen der darin liegenden Stadt Kalamata vermarktet wird). Das hier waren aber keine Kalama-Oliven – dafür waren sie zu klein, zu rund, zu hell. Egal: Sie waren wirklich lecker. Ich bekam kaum welche ab, weil mein Schwiegervater sich fast alle unter den Nagel gerissen hatte. Nachdem mein Schwiegervater von »Gurke« sprach, hat meine Frau mal ausnahmsweise einen Kapernapfel probiert. Dass sie die nicht gut fand, hat mich jetzt nicht so überrascht. Aber die Oliven fand sie auch sehr gut.

Nichts von beidem – weder Kapernäpfel noch Oliven – haben meine Schwägerin, meine Schwiegermutter und mein Sohn angerührt. Die mögen das nämlich alle nicht. und das Weißbrot lag am Ende auch noch unangetastet im Korb.

Was gebe ich da an Schulnoten? Die Butter nehme ich mal aus der Wertung raus – war halt streichfähige Butter.

  • Graubrot: 3+ (wenn ihr mir gut zuredet, mache ich eine 2- draus)
  • Kapernäpfel: 5
  • Oliven: 1

Das SANDWICH Huber’s

Dann kam mein »SANDWICH Huber’s«. Wir erinnern uns, was im Menü stand: »Toastbrot mit Hühnerbrust, Tomate und Spiegelei an Blattsalat«. Ich möchte das SANDWICH jetzt zunächst völlig wertfrei und möglichst objektiv beschreiben:

  • unten: eine trockene Scheibe ungetoastetes Toastbrot.
  • darauf: drei Scheiben Tomaten.
  • darauf: ein Hühnerbrustfilet im Butterfly-Schnitt, hell gebraten.
  • darauf: eine trockene Scheibe ungetoastetes Toastbrot.
  • darauf: ein Spiegelei.
  • darüber gesprenkelt: geschnittener Schnittlauch.
  • daneben: geschnittener grüner Blattsalat.

Damit endet die wertfreie, objektive Beschreibung. Jetzt kommt die Bewertung. Beginnen wir beim Salat.

Der begleitende Salat

Es handelte sich um einen stinknormalen grünen Salat. Der war in ungleichmäßig große und kleine Stückchen geschnitten und mit einem Essig-Öl-Dressing angemacht, das so unsäglich langweilig war, dass es mir schier die Sprache verschlagen hat. Der ganze Salat war labberig und schmeckte nach nichts, außer ein bisschen nach dem Essig im Dressing. Und dann raunte mir meine Schwägerin auch noch zu: »Ist der von gestern? Der ist so braun.«

Dieser Salat hatte das Niveau jener uninspirierten Beilage, die als Entschuldigung für verspätete Lieferung in durchsichtigen Plastikschälchen verpackt in derselben Warmhaltebox zusammen mit der heißen Pizza vom Lieferservice kommt. Allerdings hatte »Huber’s« ein schlechteres Dressing. Kurz: Der Salat vom »Huber’s« war nichts anderes als wirklich, wirklich mies.

Das Sandwich selbst

Es ist kaum zu glauben, aber das nach dem Haus selbst benannte »SANDWICH Huber’s« griff tatsächlich schlicht und ergreifend auf simpelstes, ungeröstetes Toastbrot direkt aus der Tüte zurück. Die Tomaten hatten die unterste Scheibe schon vollständig durchgesuppt, als das Gericht vor mir stand, weil wirklich nichts anderes als die im Menü aufgezählten Bestandteile im Sandwich enthalten war – kein Salatblatt, keine Soße, nichts.

Das machte das Huhn zur Hauptattraktion. Und das muss dann auch liefern.

Hühnerbrust ist immer eine Gefahr. Wir wissen ja alle, dass Hühnerbrust kulinarisch betrachtet nicht gerade das beste Stück vom Huhn ist – es hat keinen besonderen Eigengeschmack (wie etwa die dunklen Teile des Huhns) und es tendiert wegen des geringen Fettgehalts dazu, beim Braten sehr schnell trocken zu werden – besonders dann, wenn es im Butterfly-Schnitt halbiert wurde.

Und das erwies sich hier leider als zutreffend. Das Huhn war trocken und dröge. Und weil die Küche anscheinend vollständig auf Gewürze verzichtet, war es zudem auch noch richtig fade. Ja, das ließe sich natürlich mit den Salz- und Pfeffermühlen auf dem Tisch nachsteuern – aber eine Grundwürze sollte doch schon zu erahnen sein.

Kein bisschen Raffinesse war an diesem lieblosen Stapel von Allerweltslebensmitteln zu erkennen. Es fehlten die Röstaromen, der Crunch, der Pepp von ein paar Umdrehungen der Pfeffermühle, ein paar Salzkristalle. Es war tatsächlich ausschließlich das im Gericht, was auf der Karte stand: Toastbrot, Tomate, Hühnerbrust.

Bis hierher war das »SANDWICH Huber’s« eine reine Enttäuschung.

Aber das Spiegelei war perfekt. Unten war es schön kross gebraten, und die Konsistenz des Eigelbs war sowohl für jene geeignet, die es lieber flüssig mögen, als auch für jene, die es durchgegart bevorzugen, denn der Dotter war nicht mehr richtig flüssig, aber auch noch nicht ganz fest. Und der Schnittlauch harmonierte ausgezeichnet – wie immer mit Eiern. Überraschenderweise stand der gar nicht in der Beschreibung des Sandwiches.

Aber rekapitulieren wir mal: Auf dem ganzen Teller war lediglich das Spiegelei gut. Alles andere nicht. Für 8 Euro hätte ich gesagt: Okay, macht immerhin satt. Aber dieser Teller kostete eben 16,20 Euro, nicht 8 Euro. Das Preis-Leistungs-Verhältnis dieses Sandwichs ist absolut daneben.

Dieses »SANDWICH Huber’s« ist eine reine Enttäuschung. Wäre das Spiegelei nicht gewesen, hätte der ganze Teller von mir eine glatte Schulnote 6 bekommen. So rettet es sich mit Ach und Krach gerade noch so auf eine 5.

Aber doof wie man ist, ist man ja höflich. Man sagt nichts. Man lässt das bestellte Gericht nicht zurückgehen. Man isst brav auf. Man nickt freundlich, wenn man gefragt wird, ob alles recht sei.

Dann bin ich halt auch selbst schuld.


Wem von euch es nur darum geht, wie mir das Essen gefallen hat, kann an dieser Stelle aufhören zu lesen. Aber dann kam die Rechnung. Und mit der habe ich eine Rechnung offen.

Die überraschende Rechnung

Auf der Rechnung tauchte ein Posten auf, der mich leicht irritierte: ein Abendgedeck. Sechsmal. Zu je vier Euro. Was sollte das denn sein? Ich schaute schnell online in die Speisekarte des »Huber’s«. Und fand bei sehr genauem Hinsehen mit viel Gepinche und Hineingezoome:

Screenshot des Abendgedecks, der überraschenden Vorspeise
Screenshot des Abendgedecks, der überraschenden Vorspeise

Was soll das heißen, ihr könnt das nicht lesen? Ist euch das etwa zu klein? Zu unleserlich? Genau! Uns auch. Bezahlen mussten wir es aber trotzdem.

Damit ihr nicht an eurer Sehkraft zweifelt, übertrage ich das mal in eine lesbare Schriftart und -größe:

Abendgedeck
Wir verrechnen fürs Gedeck (Stoffserviette*Felzl-Brot*Butter*Antipasti) € 4,00

Was bitte?

Wir sollen VIER EURO für eine Stoffserviette auf einem blanken Holztisch bezahlen? PRO PERSON?

VIER EURO PRO PERSON für ein paar Scheiben Brot und Butter?

VIER EURO PRO PERSON für ein paar Oliven und Kapernäpfel, die drei von uns niemals bestellt hätten?

VIER EURO – PRO PERSON???

VIER EURO für geradezu profane Snacks, die wir nicht bestellt hätten? Und für eine dämliche Stoffserviette auf einem blanken Holztisch?

VIER EURO für eine Wahl, die den Gästen des »Huber’s« gar nicht zugestanden wird, weil das Abendgedeck zwangsweise zum Teil der Bestellung wird?

Und ja – das galt wirklich pro Person, nicht für den ganzen Tisch.

Mich hat das richtig geärgert.

Wieso haben sechs Leute den auf beinahe jeder Seite der Speisekarte zu findenden Hinweis auf das zwangsweise Abendgedeck nicht bewusst wahrgenommen?

Ja, der Hinweis steht wirklich auf fast jeder Seite. Ich habe nachgeguckt. Trotzdem ist er außerhalb der Wahrnehmung. Im Englischen gibt es dafür den Begriff »hiding in plain sight«, dessen Bedeutung sich nicht gut ins Deutsche übertragen lässt (»sich deutlich sichtbar verstecken«). Jedenfalls riecht das stark nach Dark Pattern (auch »Deceptive Design« oder »Deceptive Patterns« genannt), also bewusst manipulativer Gestaltung, die Leute dazu bringt, Entscheidungen zu treffen, die nicht in ihrem Interesse liegen – etwa das Akzeptieren nachteiliger Bedingungen. Besonders häufig ist dieses Getrickse mittlerweile in Softwares und Apps anzutreffen, aber ist bei unseriösen Marketing-Menschen seit Jahrzehnten gängige Praxis.

Ich war 20 Jahre lang Grafikdesigner. Und darum habe ich mir das Design der ganzen Karte noch einmal ganz genau angeschaut. Hier die Salate-Karte, die beispielhaft für alle anderen Seiten mit dem Hinweis auf das Abendgedeck steht (abgerufen am 4. Juli 2025):

Die Salate-Seite aus der Huber’s-Speisekarte, Stand: 4. Juli 2025
Die Salate-Seite aus der Huber’s-Speisekarte, Stand: 4. Juli 2025

Exkurs in die Typografie – weil es sein muss

Die Schriftart, die das »Huber’s« für seine Speisekarte nutzt, ist die »Papyrus«. Sie ist insgesamt typografisch eine ganz, ganz schlimme Wahl – nicht nur auf Speisekarten, sondern für alle Situationen des Lebens. Es ist eine Schrift, die niemand einsetzen und die am besten gar nicht existieren sollte. Sie ist nämlich in jeder Hinsicht furchtbar.

Problem Mikrotypografie

Das gravierendste Problem der Papyrus liegt in den katastrophalen Kerning-Tabellen. Kerning meint die Feinabstimmung der Buchstabenabstände zwischen spezifischen Zeichenpaaren. Der Font enthält praktisch keine funktionierenden Kerning-Paare, was bedeutet, dass alle 2.704 möglichen Kombinationen zwischen Groß- und Kleinbuchstaben manuell von dem:der Grafikdesigner:in korrigiert werden müssten. Was natürlich niemand tut. Was die Lesbarkeit beeinträchtigt.

Die ungleichmäßigen Strichstärken und irregulären Rundungen der Buchstaben in der Schrift führen zudem zu einem unruhigen Leseerlebnis. Diese Eigenschaften, die eine handgeschriebene Ästhetik simulieren sollen, zerstören die typografische Konsistenz, die aber für die Lesbarkeit erforderlich ist. Die ausgefransten Kanten und unregelmäßigen Konturen verstärken diese Problematik zusätzlich.

Ein weiteres fundamentales Defizit der Schrift liegt im Fehlen einer vollständigen Schriftfamilie. Die Papyrus bietet keine echten Fett- oder Kursiv-Varianten, was die Gestaltung von typografischen Hierarchien unmöglich macht. Manche Programme, vor allem Office-Anwendungen, die nicht als Design-Produkt gedacht sind, erlauben digitale Schrägstellungen und digitale Fettungen, die die Lesbarkeit weiter einschränken. Hier werden genau diese digitalen Verzerrungen genutzt.

In kleinen Schriftgrößen wird die Papyrus zum typografischen Albtraum. Während die Schrift bei großen Größen noch halbwegs funktioniert, verliert sie bei Schriftgrößen unter 12 Punkt jegliche Lesbarkeit. Denn die Binnenräume der Buchstaben (Fachvokabel: Punzen) sind bei der Papyrus zu eng gestaltet. Das führt dann dazu, dass Buchstaben wie a, c, e und s bei kleineren Schriftgrößen absaufen und unlesbar werden. Außerdem verschmelzen die unregelmäßigen Konturen bei kleinen Schriftgraden zu einem unleserlichen Chaos, das besonders bei schlechten Lichtverhältnissen problematisch wird.

Die mangelnde Unterscheidbarkeit ähnlicher Zeichen verschärft die Lesbarkeitsprobleme. Während professionelle Schriftarten klare Unterschiede zwischen 0 und O, I und l sowie rn und m aufweisen, verschwimmen diese Unterschiede bei der Papyrus durch die »künstlerische« Gestaltung.

Problem Makrotypografie

Die inkonsistenten Ober- und Unterlängen der Papyrus führen zu einem gestörten Zeilenrhythmus. Der Grauwert des Schriftbildes wird durch die seltsamen Strichstärken ungleichmäßig, was zu optischen Störungen im Textfluss führt. Professionelle Typografie erfordert einen gleichmäßigen Grauwert für ermüdungsfreies Lesen.

Die digitale Umsetzung der 1982 von Chris Costello ursprünglich mal handgezeichneten Schrift führt außerdem zu Skalierungsproblemen. Die Proportionen der Buchstaben funktionieren nur in einem sehr begrenzten Größenbereich. Bei größeren Schriftgrößen wirken die Unregelmäßigkeiten übertrieben, bei kleineren verschwinden wichtige Details.

Papyrus ist ein Totalschaden

Die Schrift »Papyrus« in der Schriftsammlung von Adobe.
Die Schrift »Papyrus« in der Schriftsammlung von Adobe.

Die Papyrus ist ein mikro- und makrotypografischer Totalschaden. Die fundamentalen Kerning-Probleme, die mangelnde Skalierbarkeit und die fehlende Schriftfamilie machen sie für jede professionelle Anwendung völlig unbrauchbar.

Insbesondere trifft das dort zu, wo Menschen unterschiedlichen Alters mit unterschiedlichen Sehstärken bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen einem in der Papyrus gesetzten Text wichtige Informationen entnehmen sollen, die ihre Finanzen betreffen.

Bei Speisekarten zum Beispiel.

In meiner Zeit als selbstständiger Grafikdesigner zwischen 2007 und 2015 habe ich insgesamt vier Kunden aus der Gastronomie jahrelang betreut. Darum weiß ich, dass der wichtigste Aspekt der Speisekarten-Typografie die bestmögliche Lesbarkeit bei allen Lichtverhältnissen ist. Die Faustregel lautet: »Je schummriger das Licht, desto leichter muss die Speisekarte zu lesen sein«. Die unregelmäßigen Konturen und die ausgefransten Kanten der Papyrus erschweren das Lesen erheblich und sind in keinem Fall geeignet.

Nun nutzt das »Huber’s« ja bei allen Gerichten zwar die Papyrus, aber immerhin in recht große Schriftgröße. Sprich: Die Gerichte sind noch einigermaßen lesbar. Die Preise hingegen sind schon arg klein gehalten, ebenso die Hinweise auf die Allergene.

Und auch diese beiden Zeilen zum Abendgedeck sind verdächtig klein.

Dazu kommt die satztechnische Katastrophe in der Klammer – »Stoffserviette*Felzl-Brot*Butter*Antipasti«. Ohne Leerzeichen verschmilzt all das zu einem völlig unlesbaren Brei.

Die ganze typografische Gestaltung des Abendgedeck-Hinweises ist ein ziemlich deutlicher Hinweis auf ein Dark Pattern. In diesem Fall nutzt die visuelle Verschleierung der Zusatzkosten die typografischen Schwächen der gewählten Schriftart als Werkzeug der Kundenmanipulation.

Im Kern werden hier gezielt menschliche Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster ausgenutzt, um eine Entscheidung herbeizuführen, die der Gast bei vollständiger Information vermutlich nicht getroffen hätte.

So funktioniert der Trick:

  1. Versteckte Information: Die Gebühr wird auf der Speisekarte so unauffällig, klein oder schlecht lesbar platziert, dass sie von den meisten Gästen beim Lesen übersehen, als normaler Teil des Angebots oder als ergänzende Informationen zum Menü (wie etwa der Allergen-Liste) wahrgenommen wird.
  2. Fehlende Wahlmöglichkeit: Der Gast wird nicht aktiv gefragt, ob er das Abendgedeck überhaupt möchte, sondern es wird automatisch geliefert und berechnet – ohne explizite Zustimmung.
  3. Fait-accompli-Prinzip: Mit der Rechnung werden die Gäste mit der Gebühr konfrontiert. Zu diesem Zeitpunkt ist die Leistung (hier das Gedeck) bereits erbracht und konsumiert, und ein Widerspruch erscheint den Gästen sozial unangenehm oder »zu spät«.
  4. Widerstandsminimierung: Viele Menschen vermeiden Konflikte oder Diskussionen über kleine Beträge, insbesondere in sozialen Situationen wie einem Restaurantbesuch. Die Hürde, nachträglich zu reklamieren, ist hoch.

Warum ist das manipulativ?

  • Es wird gezielt darauf gesetzt, dass die Gäste die Zusatzkosten nicht bemerken und sich später nicht mehr dagegen wehren.
  • Die Information ist zwar formal vorhanden, aber so gestaltet, dass sie in der Praxis wirkungslos bleibt.
  • Die Gäste werden in eine Situation gebracht, in der sie sich ohne echte Zustimmung mit einer zusätzlichen Zahlung abfinden müssen.

Diese kalkulierte Akzeptanz ist deshalb manipulativ, weil sie auf Intransparenz und sozialem Druck basiert. Sie nimmt den Gästen die Möglichkeit einer informierten Entscheidung und nutzt typische menschliche Verhaltensweisen gezielt zum Vorteil des Restaurants aus.

Ich musste nur ganz kurz recherchieren, um auf die Schnelle etliche Hinweise zu finden, dass das alles vollkommen illegal ist. In der Preisangabenverordnung (PAngV), im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und sogar dem Strafgesetzbuch (StGB) gibt es einschlägige Abschnitte.

Aber eben nur, wenn »Huber’s« in Deutschland säße.

Tut »Huber’s« aber nicht.

»Huber’s« sitzt in Österreich. Da der Abendgedeck-Hinweis formal auf der Speisekarte steht, erfüllt das Restaurant die Anforderungen des österreichishen Rechts, konkret § 6 Abs. 1 PrAG. Die unlesbare Schrift und manipulative Darstellung verstoßen hier ganz offenbar nicht gegen die für normale Gastgewerbebetriebe geltenden österreichischen Bestimmungen.

Meine Learnings aus diesem Desaster

Ich habe im Rahmen dieses Artikels gelernt, dass es in gehobenen Restaurants in Österreich eine versteckte Zwangsleistung geben kann (übrigens ist das »Huber’s« kein gehobenes Restaurant. Das wäre es aber wohl gern). Zwar wird die Zwangsleistung formal korrekt in den Speisekarte ausgezeichnet, aber oftmals exakt so, dass der Zwang von uninformierten Auswärtigen gar nicht erkannt werden kann. Ja, genau: Dass das »Huber’s« auf Dark Pattern setzt, ist kein Einzelfall in der Alpenrepublik.

Wenn ihr nach ähnlichen Erlebnissen googelt, stoßt ihr sehr schnell auf den Fall einer Frau, die im Lokal »Bierführer« in Goldegg im Salzburger Land zu Gast war. Beim »Bierführer« war das Gedeck ebenfalls in aller Öffentlichkeit versteckt, nämlich so, dass es einem normalen Gericht auf der Speisekarte aussieht (damals noch unter allen anderen Speisen, heute oben drüber). Aber nirgendwo steht, dass das Gedeck eine Kaufverpflichtung darstellt:

Der obere Teil der Speisekarte vom »Bierführer«, abgerufen am 5. Juli 2025
Der obere Teil der Speisekarte vom »Bierführer«, abgerufen am 5. Juli 2025

Die Begründung, mit der österreichische Gastronom:innen die Existenz eines derartigen Zwangspostens rechtfertigen, ist geradezu haarsträubend. Konfrontiert mit der Kritik der Gästin am versteckten Posten des Gedecks im »Bierführer« zitiert der Münchener Merkur den Sprecher der Restaurant-Gruppe, zu der auch der »Bierführer« gehört:

»Dieser Posten kommt durch die Kosten für die Tischdecken, die Stoff- Mundservietten, das ofenfrische Brot, die zwei verschiedenen Aufstriche und den lokalen Karreespeck zustande. Und natürlich die Kosten für die Mitarbeiter, die waschen, bügeln, das Brot backen, die Aufstriche zubereiten und dergleichen.« – Andreas Pointner

Ähm – hat da jemand womöglich die Basics der Produktpreisgestaltung nicht verstanden? Oder können wir vielleicht demnächst dann noch damit rechnen, dass wir in österreichischen Restaurants unter dem Begriff »Raumkultur« für die Reinigung von Tischplatte, Fußboden und der Toiletten zu 2 Euro pro Nase zur Kasse gebeten werden?

Ja, es mag in Österreich gang und gäbe sein, dass Gastwirt:innen ihre Gäste über den Tisch ziehen und die sich das auch noch gefallen lassen. Andere Länder, andere Sitten halt. Das hindert mich persönlich, der mit dem jahrhundertealten hanseatischen Prinzip des ehrlichen Kaufmanns aufgewachsen ist, jedoch nicht daran, Restaurants mit in die Karte hineingeschweinigelten verdeckten Zwangsgebühren als kackdreist, unlauter, ehrlos und absolut unseriös zu empfinden.

Oder um es mal in Landessprache loszuwerden: »I hätt ned glaubt, dass de österreichischen Wirt’ mi so hintergeh’n.«

In diesem Fall, dem »Huber’s«, passte die Schweinigelei sehr gut ins Bild.

Keine Empfehlung von mir.