Aus irgendeinem Grund endete unser Familienurlaub in Wien am Montag, unserem letzten Abend in der österreichischen Hauptstadt, ausgerechnet in einem Irish Pub statt einer echten Wiener Traditionsgastwirtschaft, nämlich im Molly Darcy’s Irish Pub im 1. Wiener Bezirk.
Schon zwei Tage zuvor, am Samstag, hatte ich im Internet für 19 Uhr und sechs Personen reservieren wollen, aber anders als gedacht, konnte ich lediglich eine Reservierungsanfrage senden. Sehr skurril.
Die E-Mail, die ich erhielt, kam automatisiert und sagte:
Thank you for requesting a table at Molly Darcys!
[Reservierungsdetails]
Auto System E-Mail —> your request reached our inbox and will be answered shortly during our opening hours.
this is not a confirmation of reservation!
See you soon, Molly Darcys
Ja, nun. Man gut, dass ich halbwegs flüssig Englisch verstehe, denn meine Schwiegereltern wären aufgeschmissen gewesen. Immerhin kam tags darauf auch die Reservierungsbestätigung.
Die Website des Irish Pubs ist übrigens nicht gerade besonders günstig gestaltet, wenn man vorab einfach mal einen Blick auf die Speisekarte werfen will. Denn die ist auf der Website lediglich in Form zweier Bilder hinterlegt (Vorder- und Rückseite der gedruckten Speisekarte) – und zwar in den geradezu bizarren Abmessungen von 3283 × 1753 Pixeln. Das ist selbst für das Display meines MacBook Pro viel zu groß, denn das kann nur 1800 × 1169 Pixel darstellen. Auf einem iPhone ist das komplett unbrauchbar.
Wie auch immer. Los geht’s mit dem Ambiente.
Das Ambiente
Schild über der Eingangstür des Molly Darcy’s in Wien
Eingangsbereich des Molly Darcy’s in Wien
Außenbereich des Molly Darcy’s in Wien
Schankbereich mit Tresen, Stehtischen und Barhockern im Molly Darcy’s in Wien
Blick in den Schankbereich im Molly Darcy’s in Wien
Tische und Stühle vor den Toiletten im Molly Darcy’s in Wien
Toilettentüren im Molly Darcy’s in Wien
Das Molly Darcy’s ist das, was wir als Eckkneipe bezeichnen würden. Es befindet sich nämlich in einem Eckhaus. Wir betraten das Molly Darcy’s nicht durch den Haupteingang am Eck, sondern durch den, der vor dem bereits jetzt, kurz vor 19 Uhr, gut gefüllten Außenbereich lag. Damit standen wir im leeren Gastraum, der sich aber nach und nach noch füllen sollte.
An der Theke empfing uns eine junge Dame, die sich als unsere Bedienung für den Abend herausstellen sollte, und führte uns in den Bereich hinter dem eigentlichen Haupteingang. Dort gab es einige wenige Tische mit gepolsterten Sitzbänken, die allerdings eigentlich nur für vier Personen geeignet waren. An einem, auf dem ein »Reserviert«-Schild stand, waren an das Kopfende noch zwei Stühle gestellt – unser recht beengter Tisch für den Abend. Meine ziemlich dünne Schwiegermutter und meine Frau (die natürlich ebenfalls gertenschlank ist) setzten sich hierher und gönnten dem Rest die Bänke.
Wie nicht anders zu erwarten, versprühte auch dieses Irish Pub den Charme eines – nun ja, eines Irish Pubs halt. Außer in Irland sehen die überall gleich aus: dunkles Holz, Glaselemente, Plakate mit Zitaten irischer Intellektueller, irgendwelche wahllosen Bücher auf Regalbrettern, Schiefertafeln mit irischen Biersorten und Hinweisen auf das Pub Quiz, irische Whiskey-Folklore wie Jameson-Fässern vor den Toiletten, Jameson-Spiegel an der Wand. Und wie jedes Irish Pub wirkte auch dieses ein wenig abgerockt. Aber das, so glaube ich, ist irgendwie Absicht, denn das Abgerockte wirkt in jedem Irish Pub sehr gezielt. Denn wie in jedem Irish Pub fühlte ich mich sofort sauwohl.
Der Service
Noch so ein Ding, das ganz gezielt in allen Irish Pubs der Welt gemacht wird: Der Service spricht Englisch mit einem. Auch wenn alle Beteiligten eigentlich muttersprachlich Deutsch sprechen – so wie hier. Allerdings war das bei unserer Bedienung ausgesprochen witzig. Denn zu Beginn sprach sie Deutsch mit uns – um dann später ganz plötzlich und quasi mitten im Satz ins Englische zu wechseln. Das verwirrte sie selbst ein bisschen.
Abgesehen von dieser lustigen Episode gibt es absolut nichts, was nicht perfekt gelaufen wäre. Von der Begrüßung bis zur Verabschiedung war sie für uns (und alle anderen Gäste im Laden!) da. Sie nahm unsere Bestellungen auf, brachte kurz darauf die Getränke (ich hatte ein Pint Stringbow Cider. Das kommt aus England! In einem Irish Pub!). Wiederum kurz darauf schleppte sie zusammen mit einem Kollegen (der ein wirklich kerniges Englisch sprach – ich nehme an, dass der Mann tatsächlich ein Ire war) unsere Speisen herbei.
Der Tisch, der eigentlich für vier Personen gedacht war, war dann erst einmal knüppelvoll gestellt.
Nachdem wir fertig gegessen hatten, trug sie schleunigst alles wieder davon, damit wir wieder Platz auf dem Tisch hatten, ließ uns dabei aber nie auf dem Trockenen sitzen. Alles in allem: Liebes Molly Darcy’s, haltet diese Frau fest. Die ist toll.
Die Bestellung
Mein Sohn und mein Schwiegervater hatten sich Schnitzel Wiener Art bestellt (oder wie es auf der Karte heißt: Schnitzel Vienna Style), und mein Sohn war restlos begeistert. Obwohl es sich um Schweineschnitzel handelte, war das anscheinend das beste Schnitzel, das er in den letzten 5 Tagen gegessen hatte. In Wien. In einem Irish Pub. Und tatsächlich: Es war unglaublich gut souffliert – die Panade schmiegte sich in großen, fluffigen, luftigen Wellen um die zwei großen Fleischstücke herum. Auch seine Pommes fand er super, und die Preiselbeersoße hat er ebenfalls vollkommen leer gemacht. Probieren durfte ich allerdings nicht.
Meine Schwägerin und meine Frau hatten sich Fish & Chips bestellt, die ebenfalls fantastisch waren (da durfte ich wenigstens mal probieren). Der Fisch war in einem tollen Teig ausgebacken, die Chips waren (glücklicherweise) knusprig frittiert, und nicht blass und schlapp ein bisschen in Öl gekocht, wie das in England üblich ist. Und dazu gab es eine unglaublich gute Tartarsoße. Meine Schwiegermutter begnügte sich mit der Tagessuppe, einer Brokkolicremesuppe, die sie zusammen mit krossem Toast bekam. Die war wohl auch ziemlich gut.
Aber ich hatte mir etwas bestellt, was wenigstens irischen Ursprungs war: Cottage Pie.
Cottage Pie mit gemischtem Salat
Cottage Pie mit Salatbeilage im Molly Darcy’s in Wien
Im Englischen bezeichnet »Pie« ein Gericht, das aus einer Füllung (herzhaft oder süß) besteht, die von einer Teighülle umschlossen oder zumindest mit einem Teigdeckel bedeckt ist. Pies können sowohl herzhaft (zum Beispiel mit Fleisch, Fisch, Gemüse) als auch süß (zum Beispiel mit Obst oder Creme) gefüllt sein.
Der Cottage Pie ist herzhaft. Es handelt sich bei ihm um einen Auflauf aus Hackfleisch vom Rind und variablem Gemüse (meist Karotten, Erbsen, Zwiebeln, Sellerie und Lauch). Die Masse ist mit Thymian, Rosmarin, Worcestershire Sauce (siehe Exkurs unten), Salz und Pfeffer abgeschmeckt und wird mit einer Schicht aus Kartoffelpüree abgedeckt, die im Ofen zur Kruste wird. Oft wird der Pie auch mit Cheddar überbacken, aber das ist optional. Wenn Lammfleisch statt Rind verwendet wird, heißt dasselbe Gericht übrigens »Shepherd’s Pie«.
Exkurs zur Aussprache von »Worscestershire Sauce«
Worcestershire Sauce (auf dem deutschen Markt oft nur als »Worcestersoße« angeboten) wird nicht etwa »Wortschesterschaiersoße« (bzw. »Wortschestersoße«) ausgesprochen, sondern /ˈwʊstə ʃə sɔːs/. Das klingt etwa wie: »Wuster-scha-Soß« (kurzes »u«, das »r« wird kaum ausgesprochen). Wer besonders lustig sein will, kann aber auch gern »Wash your sister sauce« sagen. Exkurs Ende.
Sowohl England als auch Irland beanspruchen den Cottage Pie als Teil ihrer nationalen Küche, was kein Wunder ist, da Irland zur Zeit der Entstehung des Gerichts Teil eine englische Kolonie war. Die Bezeichnung »Cottage Pie« tauchte erstmals Ende des 18. Jahrhunderts auf, als Kartoffeln zu einem Grundnahrungsmittel für die ärmeren Bevölkerungsschichten in Großbritannien und Irland wurden.
Ursprünglich, als der Pie noch ein Arme-Leute-Essen war, wurden Fleischreste mit Gemüse und Kartoffeln kombiniert, um ein günstiges und sättigendes Essen zu schaffen. Jetzt kann man es in Wien für 16,60 Euro im Molly Darcy’s Irish Pub bestellen, und er kommt mit einem ziemlich großen Salat.
Der Salat
Erinnert ihr euch noch an den Salat, den ich im Huber’s hatte? Der Salat hier im Molly Darcy’s war im Prinzip nicht viel mehr – Blattsalat halt. Aber guckt euch an, um wie viel schöner er angerichtet ist:
Cottage Pie mit Salatbeilage im Molly Darcy’s in Wien
Gurken und Tomaten lagen obenauf, ein paar Raspeln einer Möhre, Petersilie und immerhin ein Dressing, das nach was schmeckte. Ob das hausgemacht war, bezweifle ich zwar, aber das war schon okay. Ein Pub ist keine Topgastronomie.
Der Salat war frisch und superknackig, und ich habe ihn mit großem Appetit verspeist, während ich darauf gewartet habe, dass der Glutofen mit dem Cottage Pie daneben wenigstens etwas abkühlt.
Ich wartete vergebens und habe mir trotzdem den Schnüssel verbrannt.
Aber der Salat bekommt von mir schon einmal eine solide Schulnote 2.
Der Cottage Pie
Goldgelb und dampfend stand sie vor mir, die ziemlich große Schale mit dem innerlich noch immer brodelnden Cottage Pie. Schauen wir uns mal die einzelnen Bestandteile an.
Der Käse
Käse ist bei Cottage Pie optional. Wenn ich selbst Cottage bzw. Shepherd’s Pie mache, lasse ich ihn normalerweise weg. Stattdessen ziehe ich mit der Gabel Furchen in die Kartoffelbrei-Decke, was dann beim Backen zu unterschiedlich stark gerösteten »Bergen« und »Tälern« mit unterschiedlichem Mundgefühl führt. Aber auch mit Käse mag ich das Gericht sehr gern.
Die große Scheibe Cheddar, die hier obendrauf lag, war zunächst etwas zerlaufen und dann knusprig geworden. Entweder war der Pie auf den Punkt genau aus dem Ofen gekommen, sodass der Käse nicht verbrannt ist, oder er ist erst nach dem Ofen draufgelegt und mit dem Flambierbrenner behandelt worden. Einerlei – er traf exakt den Sweetspot zwischen Knusprizität und elastischen Käsefäden, sobald ich ihn mit dem Löffel durchgestoßen hatte. Fantastisch!
Cottage Pie im Molly Darcy’s in Wien
Der Kartoffelbrei
Unter dem Käse sorgte die Decke aus Kartoffelbrei dafür, dass ich bis zum Ende eine richtig heiße Füllung hatte. Da hier alles mit Käse überbacken war, gab es auch keine Gabel-Furchen in der Decke.
Der Kartoffelbrei war wirklich schön fluffig, locker geschlagen und nur leicht gesalzen. Ich hatte auch das Gefühl, dass viel Butter, vielleicht sogar Sahne, in den Brei eingearbeitet war, was immer ein gutes Zeichen ist.
Und so muss ich sagen, dass der Kartoffelbrei vorzüglich war. Allerdings war das ganz schön viel Brei und ganz schön wenig Füllung.
Die Füllung
Das übliche Verhältnis von Füllung zu Kartoffelbrei bei Cottage Pie liegt bei etwa 1 zu 1, höchstens bei 1 zu 1,5. Hier jedoch betrug die Füllung vielleicht ein Drittel der Menge des Gerichts. Die Decke aus Kartoffeln war hier also ungewöhnlich dick, und das enttäuschte mich zunächst etwas.
Auch war die Füllung aus irgendeinem Grunde geradezu nass. Sie bestand aus ziemlich wenig Fleisch und recht viel Gemüse, was zwar dem traditionellen Arme-Leute-Essen entspricht, aber heute nicht mehr zeitgemäß ist. Heute sollten sich Fleisch und Gemüse in der Füllung eines Cottage Pie in etwa die Waage halten.
Cottage Pie im Molly Darcy’s in Wien
Das Gemüse bestand aus zwei Sorten Möhren (orange und gelb), aus Erbsen, grünen Bohnen, Lauch und Zwiebeln, soweit ich das identifizieren konnte. Das ist ein hübscher bunter Strauß an Gemüse, was mir sehr gefallen hat.
Anfangs hatte ich das Gefühl, die Füllung sei gar nicht gewürzt. Glücklicherweise entpuppte sich das als Trugschluss – ich hatte wohl nur in dem Moment einfach zu viel Kartoffelbrei auf dem Löffel. Tatsächlich war die Füllung sogar wunderbar kräftig gewürzt, so wie es sein sollte.
Je mehr ich vom Gericht aß, desto weniger doof fand ich übrigens auch die Nässe, die sich am Boden der Schale gesammelt hatte; denn der viele Kartoffelbrei wäre ganz ohne diese Flüssigkeit schwer zu ertragen gewesen.
Insgesamt bin ich recht zufrieden mit diesem Cottage Pie gewesen. Ich hatte zwar zuvor schon mehrfach bessere Pies dieser Art gegessen, aber das war auch immer entweder in Irland oder Schottland gewesen. Dafür, dass das hier ein Irish Pub in der Alpenrepublik und das Gericht auch nicht besonders teuer war, würde ich sagen: Das war total okay.
Abzüge gibt es allerdings für das ungünstige Verhältnis von Füllung zu Kartoffeln sowie für den relativ geringen Anteil an Fleisch in der Füllung, und so gebe ich diesem Cottage Pie als Schulnote eine glatte 3.
Das Fazit
Würde ich noch einmal ins Molly Darcy’s gehen? Aber absolut! Das Ambiente ist wunderbar, der Service ist toll, und rings um mich herum waren alle mit ihrem Essen mehr als nur zufrieden. Ich mäkele hier ja mit geradezu böswilliger Absicht an allem herum, was ich finde.
Beim nächsten Mal würde ich vielleicht das Irish Stew ausprobieren, oder auch die Fish & Chips. Und den Cottage Pie? Ja, auch den würde ich wieder bestellen, allein schon aus dem Grund, weil ich das Zeug so wahnsinnig gern esse und es so wahnsinnig selten angeboten wird.
Wenn man schon mal in Wien ist, dann muss man natürlich auch in ein traditionelles Wiener Kaffeehaus gehen. Denn die Wiener Kaffeehauskultur ist so besonders, dass sie seit 2011 von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe geführt wird. »Die Kaffeehäuser«, so die Begründung der UNESCO, »sind ein Ort, in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung steht«. Und das finde ich eine wunderschöne Formulierung.
Auch wenn das Kaffeehaus nicht in Wien erfunden wurde (Jahrzehnte vorher gab es schon welche in Venedig, Oxford und London, kurz danach auch in Paris), so stecken sie doch bis heute voller gesellschaftlicher, künstlerischer und politischer Relevanz. Vom Biedermeier bis zur Moderne fungierten sie als Räume für demokratische Clubs, Redaktionsstuben und Literaturbüros. Autor:innen wie Schnitzler, Zweig und Altenberg schrieben hier ihre Manuskripte, Politiker:innen organisierten Debatten, Künstler:innen diskutierten Stilfragen.
Das Café Schwarzenberg, in das wir eingekehrt sind, wurde 1861 gegründet und bezeichnet sich selbst als »Wiens ältestes Ringstraßen-Café«. Diese Behauptung nehme ich jetzt einfach mal ohne Faktencheck so hin.
Ich beginne dieses Mal mit dem Service, nicht mit dem Ambiente, und das hat einen Grund.
Der Service
Im Eingangsbereich im Café Schwarzenberg wird eine große Zahl unterschiedlicher Kuchen gezeigt.
Mit sechs Personen kann man schlecht irgendwo aufschlagen und erwarten, dass spontan genug Platz da ist. Besonders dann, wenn man unbedingt in ein ganz bestimmtes Lokal gehen möchte, so wie wir. Denn schon vor zwei Jahren waren meine Frau, mein Sohn und ich im Café Schwarzenberg und fanden es fantastisch.
Also wollten wir auch dieses Mal hin, nur eben mit sechs Personen. Eigentlich hatte ich vor, für den Nachmittag im Internet zu reservieren – doch im System der Website waren erst abends Plätze frei. Wir hatten uns daher eigentlich vom Gedanken verabschiedet, das Schwarzenberg nehmen zu können. Aber eher zufällig kamen meine Frau und ich während eines gemeinsamen Spaziergangs am späten Vormittag am Café vorbei und wir sagten uns: »Fragen kostet nix.«
Also sind wir rein, wurden von zwei Obern empfangen und brachten unser Anliegen vor. Sofort machten sich die beiden daran, zu schauen, ob sie für uns am Nachmittag noch drei Zweiertische zusammenschieben konnten – und sie konnten. Sie bewegten einfach andere Platzreservierungen hin und her, um unseren Besuch irgendwie möglich zu machen. Während der ganzen Aktion machten sie Späße untereinander (»Die Leut’ schieb’ ich dir zu, dann kannst du deinen Feierabend vergessen« – »Na, da werd’ ich mich schon für revanchieren!«). Offensichtlich mochten sich die zwei, und offensichtlich war das Betriebsklima im Schwarzenberg in Ordnung. Und dann schrieb der eine Ober meinen Namen in die Reservierungen.
Als ich dann einige Stunden später zur reservierten Zeit mit meinem Sohn statt meiner Frau auftauchte (die war nämlich mit dem Rest der Familie noch anderswo in Wien unterwegs) und mich dem Schild »Bitte warten Sie, Sie werden platziert« vor der Eingangstür näherte, blickte mir der Ober von vorhin von drinnen entgegen, winkte mir zu und sagte: »Herr Pflüger, kommen’s glei’ durch!«
Bitte was? Der Ober hat mich identifiziert, obwohl ich jemand anders im Schlepptau hatte als zuvor? Und er erinnerte sich noch nach Stunden an meinen Namen, ohne nachschauen zu müssen?
Respekt. Wirklich Respekt.
Wir bekamen einen Tisch in der Nähe des Eingangs und wurden fortan von einem anderen Ober bedient – offenbar war just zu dieser Zeit Schichtwechsel.
Aber auch dieser junge Mann leistete tollen Service. Stets im Hintergrund verfügbar, stets aufmerksam, stets freundlich. Er brachte uns nicht nur die Getränke und Speisen, bat nicht nur um Entschuldigung, weil die warmen Apfelstrudel etwas länger bräuchten, räumte nicht nur stillschweigend alle leeren Teller, Gläser und Tassen weg. Nein, unser Ober erkannte unsere Bedürfnisse und hat seinen Service genau daran angepasst. Er beherrschte die Balance zwischen Aufmerksamkeit und Diskretion – er war immer dann präsent, wenn er von uns gebraucht wurde, hielt sich aber zurück, wenn wir ungestört bleiben wollten.
In einem Satz: Der Service, den wir im Café Schwarzenberg erleben konnten, war von vorn bis hinten sensationell gut.
Das Ambiente
Die Fassade des traditionsreichen Cafés Schwarzenberg direkt am Schwarzenbergplatz in Wien.
Schon von außen ist das Café Schwarzenberg ein echter Hingucker. Es handelt sich um ein Eckhaus, direkt am Schwarzenbergplatz (wobei die Postadresse der Kärntner Ring ist, der auf den Platz stößt). Die großen, hohen Fenster enden oben in einem Halbrund, auf dem in goldenen Lettern der Name des Cafés angebracht ist.
Betritt man den Gastraum durch den Windfang, setzt sich der klassische Charme fort – Die Atmosphäre des Schwarzenbergs entspricht dermaßen klischeehaft dem Klischee eines Wiener Kaffeehauses, dass sich das »Klischee« wegkürzt und nur »Atmosphäre« übrig bleibt. Schaut euch das einmal an:
Der Gastraum des Café Schwarzenberg in Wien.
Ist das nicht einfach fantastisch? Was in diesem Foto gar nicht so richtig herauskommen will, ist die schiere Höhe der Decke, und das liegt an der Verzerrung des Weitwinkelobjektivs (die sieht man leider auch links an den Stühlen sehr gut). Meine grobe Schätzung ist, dass die Decke an der höchsten Stelle locker fünf bis sechs Meter misst.
Und wenn ihr euch fragt, was das da oben für ein lustiges Muster an der Decke ist, nun, es handelt sich um das hier:
Schuppenförmiges Kachelmosaik an der Decke des Café Schwarzenberg.
Unsere Tische waren – ganz in der Tradition des Wiener Kaffeehauses – mit einer schönen Marmorplatte ausgestattet, die Sitzgelegenheiten mit Leder gepolstert. Die Stühle waren ziemlich bequem, was ich auf den ersten Blick überhaupt nicht erwartet hatte. Aber die halbrunde Rückenlehne des Stuhls war wirklich überraschend angenehm.
Von unserem Tisch selbst habe ich gar kein Bild gemacht, aber nebenan war noch eine reservierte Sitzgruppe frei. Auf Stühlen wie diesem hat unsere ganze Truppe gesessen.
Im Café Schwarzenberg gibt es lederne Sitzbänke und sehr bequeme Stühle mit Lederpolster und runder Rückenlehne.
Die Bestellung
Von unserem letzten Besuch vor zwei Jahren im Jahr 2023 wussten wir noch, dass das Schwarzenberg fantastische Wiener Schnitzel serviert (aktuell, am 7. Juli 2025, kostet es tatsächlich sagenhaft günstige 26,50 Euro). So sah das inklusive Vergleichsgröße einer Männerhand damals aus:
Café Schwarzenberg: Wiener Schnitzel, 2023
Heute aber war es ja erst Nachmittag, also Kaffeezeit. Also hieß es: eine Kaffeespezialität und dazu eine der berühmten österreichischen Backwaren oder Mehlspeisen genießen.
Und so bestellten wir allesamt Apfelstrudel. Vier Leute orderten die einfache Version für 7,90 Euro, mal ohne und mal mit Schlagobers (= Schlagsahne) zu 2,50 Euro. Und meine Schwägerin und ich konnten den Hals nicht voll genug bekommen und legten uns auf den warmen Apfelstrudel mit Vanillesoße und Preiselbeerschaum für 12,60 Euro fest.
Ich nahm dazu noch eine Wiener Melange für 6,70 Euro. Und damit beginne ich auch, weil sie zuerst am Tisch ankam.
Die Wiener Melange
Die Wiener Melange im Café Schwarzenberg.
Tauchen wir kurz ein in die Entwicklung der Wiener Melange. Grundlage ist ein Mokka und heiße Milch, aber diese Urform hat sich immer wieder verändert und weiterentwickelt. Und jetzt kommt mir doch endlich einmal zugute, dass ich zwei Jahre lang die Hannoversche Kaffeemanufaktur als Social-Media-Manager begleitet und in dieser Zeit mehr über Kaffee gelernt habe, als mir lieb ist.
Der ursprüngliche Mokka (bis 1800) In der Frühzeit der Wiener Kaffeehauskultur wurde echter türkischer Mokka im Ibrīq zubereitet. Das staubfein gemahlene Kaffeepulver wurde mehrmals mit Wasser aufgekocht und mitsamt Kaffeesatz serviert. Diese ursprüngliche Form war stark, intensiv und oft mit Zucker und Gewürzen verfeinert. Aber in dieser Form gehörte der Mokka nie zur Wiener Melange.
Der Übergang zur Filtermethode (1800 bis 1850) Mit der Entwicklung der Seihkanne und besonders ihrer Spezialform, der Karlsbader Kaffeemaschine, wandelte sich das Mokka-Verständnis in Wien grundlegend. Statt staubfeinen Pulvers verwendete man nun grobes Kaffeemehl, das durch Schwerkraft extrahiert wurde. Der Kaffee wurde milder und ohne Kaffeesatz serviert. Und das war ab 1830 der Startschuss für die Wiener Melange.
Die ursprüngliche Melange kombiniert mild gerösteten Mokka aus der Seihkanne bzw. Karlsbader Kaffeemaschine und die gleiche Menge heißer Milch – ganz ohne Milchschaum oder Dekor. Ziel war ein verträgliches Frühstücksgetränk für das großbürgerliche Publikum.
Die Karlsbader Ära (1850 bis 1945) Die Karlsbader Kaffeemaschine aus Porzellan wurde zum Symbol der Wiener Kaffeehauskultur. Das charakteristische Porzellan-Doppelsieb ermöglichte einen besonders reinen, weichen Kaffee. In den Kaffeehäusern wurde der »Karlsbader« oft direkt am Gästetisch zubereitet. Manchmal experimentierten Kaffeehäuser mit geschlagener Milch oder Schlagobers für eine dünne Haube. Die Melange blieb jedoch grundsätzlich eine 1:1-Mischung mit nur gelegentlichem, dünnem Milchschaum als optionaler Zugabe. Ab 1900 kamen die ersten Dampfaufschäumer auf den Markt. Sie lieferten stabileren Schaum, was zu größerer Akzeptanz der Schaumhaube führte. In manchen Häusern ersetzte nun auch Schlagobers den Milchschaum auf der Melange – eine Spezialität, die heute als »Franziskaner« angeboten wird.
Espressomaschinen (ab 1945) Ab Mitte des 20. Jahrhunderts hielten Siebträgermaschinen Einzug in die Wiener Kaffeehäuser. Doch Wien entwickelte eine eigene Interpretation: Anders als in Italien wird der Espresso deutlich länger und bei geringerem Druck extrahiert; der so entstehende Kaffee (»Mokka« oder »Kleiner Schwarzer«) bildet heute die Basis der Melange. Milchschaum etablierte sich ab Mitte der 1950er Jahre als fester Bestandteil der Melange, blieb aber bis in die 1980er Jahre hinein eher zurückhaltend. Erst zu dieser Zeit entstand das bis heute oft als gültig angenommene Mischungsverhältnis von einem Teil Mokka, einem Teil heißer Milch und einem Teil Milchschaum. Das scheint allerdings mittlerweile gar nicht mehr zu stimmen; verschiedene Quellen behaupten, dass oft mit einem normalen Espresso gearbeitet wird und die Milchschaumhaube nur noch 10 bis 15 Prozent des gesamten Getränks einnimmt.
Und die Wiener Melange im Café Schwarzenberg?
Ob da nun ein simpler Espresso oder ein leicht verlängerter Kleiner Schwarzer als Basis für die Melange genutzt wird, ob der Milchschaumanteil ein Drittel beträgt oder nur 10 Prozent – keine Ahnung. Das, was mir in der schönen Porzellantasse serviert wurde, war einfach großartig.
Bitte, bitte, liebes Café Schwarzenberg, verändert diese Rezeptur nicht.
Eure Melange ist wunderbar. Der Milchschaum ist exakt richtig – nicht zu fest, aber doch stabil genug, um die Schaumkrone lange zu halten. Der Kaffeegeschmack tritt trotz der vielen Milch deutlich hervor, bleibt dabei aber mild und aromatisch. (Zucker ist bei einer Wiener Melange aus meiner Sicht ohnehin des Teufels. Und ich glaube nicht mal an Teufel und Dämonen. Aber ich glaube an Kaffee ohne Zucker.)
Diese Wiener Melange ist eine ganz klare Schulnote 1.
Und jetzt zur Hauptattraktion des Nachmittags.
Warmer Apfelstrudel mit Vanillesoße und Preiselbeerschaum
»Wer einmal aus dem Blechnapf frisst«, so betitelte Hans Fallada seinen Roman aus dem Jahr 1934. Der Titel ist dabei eine zentrale Metapher für die dauerhafte Stigmatisierung aus dem Knast entlassener Strafgefangener. Der Blechnapf symbolisiert die Entbehrungen und Erniedrigungen des Häftlingsdaseins in den Gefängnissen jener Zeit – mit billigem, unzerbrechlichem Geschirr, das die Ärmlichkeit und Würdelosigkeit der Haftbedingungen verdeutlichte.
Und mir serviert man in diesem wundervollen Ambiente des Cafés meinen warmen Apfelstrudel – in einem Blechnapf:
Der warme Apfelstrudel mit Vanillesoße und Preiselbeerschaum im Café Schwarzenberg kommt in einer Metallschale.
Okay. Es ist jetzt nicht so richtig »Blech«. Kein bisschen billig. Kein bisschen ärmlich. Kein bisschen würdelos. Die Schale mit ihren zwei Henkeln fühlt sich schon ziemlich gut an. Schwerer Edelstahl, vielleicht 18/10? Egal. Ich wollte nur den peinlichen Gag mit dem Blechnapf machen.
Die Schale war recht tief; unten ein Spiegel aus warmer Vanillesoße und einem Klecks Preiselbeeren – »Preiselbeerschaum« war das eher nicht –, darin thronte majestätisch ein riesiges Stück Apfelstrudels mit feiner Staubzuckerauflage.
Meine Schwägerin und ich bekamen unsere warmen Apfelstrudel mit einer Entschuldigung des jungen Mannes vom Service deutlich nach den anderen, die ihre jeweiligen kalten Versionen mit und ohne Schlagobers schon halb verspeist hatten. Mein Sohn hatte mit dem Satz: »Das ist der beste Apfelstrudel bisher« die Latte hochgelegt, denn, ganz der Teenager in der Wachstumsphase, hatte er sich hier Tag für Tag wie ein Scheunendrescher durch die Spezialitäten der Stadt gefressen.
Meine Erwartung war also ziemlich weit nach oben geschraubt – ich hatte nämlich bisher noch überhaupt keine Süßspeise gekostet.
Die Vanillesoße
Der warme Apfelstrudel mit Vanillesoße und Preiselbeerschaum im Café Schwarzenberg kommt in einer Metallschale.
Als Erstes tauchte ich meinen Löffel in die warme – und glücklicherweise nicht heiße! – Vanillesoße. Was mir sofort auffiel, war ihre zarte Cremigkeit. Süß? Ja, aber nur ganz leicht und sehr angenehm im Hintergrund, so, als sei hier ganz dezent mit ein paar Prisen Puderzucker gearbeitet worden.
Stattdessen steht das Vanillige im Vordergrund.
Und zwar die Art Vanilliges, die ich aus meiner Kindheit in Erinnerung habe. Damals hat Mama immer ein Pülverchen aus einem Papiertütchen in warme Milch gekippt, ein wenig gerührt, und am Ende kam leckere, satt gelbe Vanillesoße heraus. Für mich war das damals die pure Magie.
Was ich sagen will: Hinweise auf echtes Vanillemark habe ich nicht entdecken können. In der Soße fand ich keine der charakteristischen kleinen, schwarzen Pünktchen. Darum gehe ich davon aus, dass in der Vanillesoße des Café Schwarzenberg lediglich einfache Vanillearomen am Start waren.
Stört mich das? Eigentlich nicht. Denn in einem Kaffeehaus erwarte ich – trotz des fantastischen Ambientes – keine Spitzengastronomie. Wie hieß es noch gleich in der Begründung dafür, die Wiener Kaffeehäuser zum immateriellen Kulturgut zu machen? Ach ja: »Die Kaffeehäuser sind ein Ort, in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee [hier: der Apfelstrudel] auf der Rechnung steht.« Die Verkaufspreise dürfen also nicht zu hoch sein. Und der warme Apfelstrudel mit Vanillesoße kostet gerade einmal 12,60 Euro. Und er ist massiv.
Aktuell, im Juli 2025, liegen die Median-Großhandelspreise (also die Einkaufspreise für die Gastronomie) für echte Bourbonvanille in Deutschland bei 1,69 EUR pro Schote. (Für Österreich konnte ich keine spezifischen Preise finden, gehe aber von ähnlichen Preisen aus.) Für die Menge in meiner Schale würde ich Pi mal Daumen eine Viertelschote für die Soße veranschlagen – das entspräche schon mal einem Einkaufspreis von 0,42 Euro für eine einzige Zutat.
Natürlich muss auch die Gastronomie betriebswirtschaftlich arbeiten. Als traditionelles Wiener Kaffeehaus würde das Café Schwarzenberg wahrscheinlich die Wareneinsatzquoten-Methode mit einem Wareneinsatz irgendwo zwischen 25 und 28 % anwenden, und das heißt, dass der Netto-Verkaufspreis der Echten Bourbonvanille in meinem Soßenspiegel irgendwo zwischen 1,50 und 1,68 Euro liegen müsste.
Geschmacklich gibt es natürlich einen Unterschied zwischen echter Bourbonvanille und synthetischem Vanillearoma. Echte Vanille wäre natürlich geiler, aber sie hätte mich bei diesem günstigen Preis wirklich überrascht. Ansonsten fand ich die Soße vor allem wegen ihrer zurückhaltenden Süße gut. Ich gebe ihr die Schulnote 2.
Der Preiselbeerschaum
In der Vanillesoße schwamm ein kleiner Klecks rotes Etwas. Das sollte wohl der Preiselbeerschaum sein. Falls diese Preiselbeeren tatsächlich je geschäumt waren, waren sie – wohl aufgrund der Wärme von Soße und Strudel – längst in sich zusammengefallen, als der Strudel am Tisch ankam.
Geschmacklich ging die Preiselbeere in der Vanille vollkommen unter – ich konnte sie einfach nicht separat auf den Löffel bekommen. Farblich und von dem aus betrachtet, was ich als Konsistenz wahrnehmen konnte, hätte es genauso gut ein Johannisbeergelee sein können. Alles, was der Klecks in der Soße tat, war punktuell die Süße zu heben. Vermutlich wäre es klug, den Schaum künftig in einem separaten kleinen Schälchen statt in der Soße zu servieren.
Wie soll ich hier eine Bewertung abgeben? Ich füge den Klecks einfach dem Gesamterlebnis der Vanillesoße hinzu. Dafür war er weder gut genug noch schlecht genug, um irgendwas an deren Ergebnis zu ändern. Es bleibt also für die gesamte Vanillesoße inklusive des süßen Prieselbeerklecks bei der Schulnote 2.
Der Apfelstrudel
Kunstvolle Füllung beim warmen Apfelstrudel mit Vanillesoße und Preiselbeerschaum im Café Schwarzenberg.
Was für ein Kunstwerk. Dicht gepackt drängen sich die unterschiedlich groß und unterschiedlich dick geschnittenen, goldgelben Apfelstückchen im hauchzarten, gezogenen Strudelteig. Das dicke Stück Apfelstrudel, das da auf dem Soßenspiegel sitzt, ist mit einer feinen Staubzuckerauflage versehen.
Ich mochte gar nicht anfangen, ihn zu essen, so schön war er. Wer schon einmal Apfelstrudel mit Vanillesoße gegessen hat (traditionell nur mit Kuchengabel und Löffel), der weiß, dass das kein schöner Anblick bleibt.
Aber es half ja nichts – sollte ich etwa einfach da sitzen und doof auf meine Schüssel blicken, während mir der verlockende Duft des Strudels gleichzeitig den Verstand vernebelte? Also habe ich erst einmal ein paar Apfelstückchen aus dem Backwerk gezogen, um sie alleine für sich zu probieren.
Für Apfelstrudel kann nicht jeder beliebige Apfel benutzt werden. Die Äpfel, die ich persönlich als Obst essen mag, gehören jedenfalls nicht in einen Strudel. Ich bevorzuge nämlich süße, mehlige Äpfel wie Golden und Red Delicious – und die würden bei der Zubereitung des Strudels schlicht zu einer breiigen Masse zerfallen. Außerdem würde das alles irgendwie viel zu süß werden und wegen der hohen Feuchtigkeit der Äpfel den Teig durchweichen – ganz egal, mit wie viel Semmelbrösel ich dagegen zu arbeiten versuchte.
Für einen Wiener Apfelstrudel benötigen wir also andere Apfelsorten. Typische Äpfel, die dafür verwendet werden, sind Boskoop, Elstar, Jonagold, Cox Orange, Idared oder Braeburn. In Österreich werden sie sogar oft als »Strudler« verkauft.
Welche Sorte beim Café Schwarzenberg im Strudel landet – keine Ahnung. Aber nach der Vereinigung der sauren Apfelstückchen mit dem Strudelteig, geschmolzener Butter, gerösteten Semmelbröseln, Zimt, Zucker, Zitrone, ein paar Rosinen und vielleicht einem Schuss Rum im Backofen ist mir meine Präferenz bei rohen Äpfeln ohnehin vollkommen egal.
Und so war es auch hier im Café Schwarzenberg: Der ganze Strudel hat mich ziemlich weggeblasen.
Zimtig, buttrig, süß-säuerlich, saftig und mit einem komplexen, mehrschichtigen, samtigen, ordentlichen Mundgefühl. Für dieses Gefühl sorgt die Verarbeitung der Äpfel, die – auf dem Foto oben deutlich sichtbar – in unterschiedlich große Stücke geschnitten sind, von sehr feinen, fast blättrig geschnittenen Scheibchen bis zu gröberen Apfelspalten.
All das habe ich jetzt nur geschrieben, um euch zu sagen, dass mein Sohn recht hatte, als er sagte: »Das ist der beste Apfelstrudel bisher.« Er meinte damit allerdings nur die kurze Zeitspanne unserer Wien-Reise.
Ich hingegen sage: Das war der verdammt noch mal beste Apfelstrudel meines Lebens.
Dafür gibt es die beste Schulnote überhaupt: eine glatte 1.
Aber dann war da ja noch die etwas synthetisch schmeckende Vanillesoße mit dem armseligen Preiselbeerschaum. Zu dem hatte ich weiter oben geschrieben, dass er nicht gut genug und gleichzeitig nicht schlecht genug war, um irgendwas an der Note für die Vanillesoße zu ändern.
Genauso ist es jetzt auch bei der Note für den Apfelstrudel – die mit 2 bewertete Vanillesoße (mitsamt Preiselbeerschaum) hat einfach nicht genügend Relevanz für dieses fantastische Gericht, um etwas an der Schulnote 1 ändern zu können.
Mein vierter Abend in Wien, mein drittes Gericht in einem Wiener Lokal. Das erste Lokal war beinahe gut, das zweite Lokal ein totaler Reinfall. Gestern habe ich im Biergarten des Praters ein erstaunlich okayes Schnitzel (ein Schweineschnitzel mit Pommes – gilt das in Wien nicht eigentlich als blasphemisch?) gegessen, das mir aber einfach zu langweilig für eine ausführliche Bewertung war. Und heute Abend besuchte ich mit meiner Familie das Salm Bräu im Rennweg. Damit ich in Wien dann auch mal ein Wiener Schnitzel esse, habe ich das heute geordert. So wie meine ganze restliche Familie auch (bis auf meine Frau, die eine Frittatensuppe nahm, um anschließend die Schnitzelreste ihrer Mutter aufzuessen).
Das Ambiente
Man kommt durch das Eingangstor in einen mit Tischen und Bänken zugestellten Innenhof, der mit großen Sonnenschirmen (oder Pavillon-Zelten?) vor den Unbilden des Wetters geschützt ist. Gegen die große Hitze – auch heute waren es in Wien wieder 34 °C – stehen dort mehrere Ventilatoren mit ordentlichen Durchmessern und noch ordentlicherer Leistung auf massiven Gestellen und blasen kontinuierlich einen Strom vernebelten Wassers unter das Zeltdach. Die Verdunstung des Nebels kühlt die Temperatur im Innenhof um bestimmt 10 Grad auf eine sehr angenehme Temperatur herunter.
Maischbottich und Läuterbottich im Salm Bräu Wien
Das Salm Bräu ist – der Name lässt’s schon vermuten – eine Brauereigaststätte. Und das sieht man, sobald man in den Gastraum eintreten will. Hier kommt man nämlich unübersehbar an Bierbrauequipment vorbei: große Bottiche aus Kupfer, in denen gemaischt und geläutert wird. (Was immer das auch ist. Ich habe von Bierbrauen keine Ahnung.)
An diesen zwei Bottichen kamen wir vorbei, denn wir saßen drinnen im rustikalen Gastraum, wo es keine Vernebelungsanlage gab. Es war hier zwar wärmer als im Innenhof, aber dennoch problemlos erträglich, wohl weil die kühle Luft des Innenhofs durch den Gastraum zirkulierte. Für das Umwälzen der Luft waren viele kleine Deckenventilatoren verantwortlich, die ihre Arbeit recht ordentlich erledigten.
In den Wiener Restaurants der ersten beiden Tage hatte ich immer das Gefühl, dass die Einrichtungen mit viel Mühe aus verschiedenen Epochen und / oder Stilrichtungen zusammengestellt worden waren, sodass die Elemente am Ende seltsamerweise harmonierten. Im Salm Bräu war das anders.
Denn hier passte einfach alles gleich auf Anhieb zusammen: dunkle Holzvertäfelung, cremefarbener Putz, kupferne Lampenschirme, rustikales Mauerwerk, tonnenförmiges Gewölbe … Ach, seht doch einfach selbst:
Gastraum im Salm Bräu Wien
Auch hier gab es wieder Holzbänke, zudem auch einfache Holzstühle als Sitzgelegenheiten. Ich saß mal wieder auf der Bank, und die war zum Sitzen aus meiner Sicht völlig okay – es gab genug Platz, sich nach hinten zu schieben und anzulehnen. Dieses Mal hatten wir an unserem Tisch außerdem ausreichend Fläche für sechs Personen, die ganzen Teller und Getränke.
Der Service
Der Service im Salm Bräu ist geradezu irrwitzig. Wir hatten es mit insgesamt fünf MItarbeiter:innen zu tun.
Vorn am Eingang wurden wir von einer jungen Mitarbeiterin empfangen, die unsere Reservierung digital mit den reservierten Tischen abglich, uns zu unserem Platz führte und mit geradezu grotesk überdimensionierten Speisekarten versorgte. In dem Moment, als alle Menüs zugeklappt waren, stand der Ober an unserem Tisch und nahm unsere Bestellung mit einem Stift (!) und einem Zettel (!!) aus Papier (!!!) auf. Eine Mitarbeiterin brachte uns kurz darauf die Getränke. Ein weiterer Ober trug wenige Minuten danach die Frittatensuppe meiner Frau heran, ein weiterer Ober bald darauf die fünf Wiener Schnitzel. Abgeräumt wurde von der Person, die die Frittatensuppe gebracht, kassiert vom Ober, der unsere Bestellung aufgenommen hatte.
Entweder ist das ein unglaublich ausgeklügeltes, brillantes System oder das totale Chaos.
Da aber alles reibungslos und schnell geklappt hat (bis auf, dass mein Schwiegervater ein Helles statt eines Pils bekommen hat) gehe ich hier vom brillanten System aus. Allerdings scheint dieses brillante System auch eine negative Seite zu haben. Denn was toll für die Gäste ist, ist Stress pur für den Service.
Der Job als Servicekraft im Salm Bräu scheint mir ziemlich heftig zu sein – niemand aus der Crew wirkte jemals gelassen, alle standen dauernd unter Strom, und gelächelt wurde eigentlich nur, wenn die Mitarbeiter:innen mal für eine Minute unter sich an der Theke alleine waren, weil sie entweder Bestellungen für frisch gezapftes Bier abgaben, das Bier frisch zapften oder auf frisch gezapftes Bier warteten. Die Jungs hingegen, die die Speisen aus der Küche heranschleppen und die leer gegessenen Teller abräumen mussten, hatten irgendwie nichts zu lachen. Und das tut mir wirklich leid für sie.
Die Bestellung
Dieses Mal war das wirklich einfach. Wenn ich schon einmal in Wien bin, dann will ich wenigstens einmal ein Wiener Schnitzel – natürlich vom Kalb – gegessen haben. Da wir morgen Abend in ein Irish Pub gehen wollen und übermorgen wieder fahren, war dies die letzte Chance für mich.
Das Salm Bräu kommt in den Rezensionen auf den üblichen Plattformen recht gut weg, und so sind wir hier gelandet. Allerdings, und das fand ich sehr schade, wird das Wiener Schnitzel im Salm Bräu nicht mit dem berühmten Wiener Kartoffelsalat gereicht, sondern mit Petersilkartoffeln als Beilage.
Dennoch: Nicht nur ich wollte ein Schnitzel. Mein Sohn natürlich auch. Aber ebenso wollten alle anderen aus meiner Familie das Kalbsschnitzel haben. Bis auf meine Frau, die sich mit ihrer Mutter das Schnitzel teilen wollte und ergänzend eine Frittatensuppe bestellte. (Für die Badener:innen und Schwäb:innen unter euch: das ist ’ne Flädlesupp.)
Lange warten mussten wir nicht – die Frittatensuppe war schon nach wenigen Minuten da, die Schnitzel kurz darauf. Die Wiener Schnitzel kamen zusammen mit einer Zitronenspalte und einem kleinen Töpfchen Preiselbeeren auf einem Teller, die Petersilkartoffeln in einer individuellen kleinen Schale.
Die Petersilkartoffeln
Petersilkartoffeln zum Wiener Schnitzel im Salm Bräu Wien
Ich habe ja mittlerweile gelernt, dass die Petersilie in Österreich »der Petersil« heißt. Gewöhnt habe ich mich an den Klang allerdings nicht, und ich bin froh, wenn ich übermorgen die Grenze nach Norden überschritten habe, um dem Kraut ungestraft wieder ein weibliches Pronomen verpassen zu dürfen.
Woran ich mich auch nicht gewöhnen kann: an den lappigen Geschmack der Petersilkartoffeln. In meinem Teil Deutschlands ist die normale Kartoffelbeilage die sogenannte Salzkartoffel (die natürlich in Restaurants ebenfalls mit Petersilie bestreut wird). Wie der Name schon sagt, werden die mit ordentlich Salz gekocht. Deutsche Kochrezepte betonen eigentlich immer, dass Kartoffeln viel Salz schlucken. Beispielhaft zitiere ich mal das Kochwiki:
Kartoffeln vertragen sehr viel Salz, d.h. mutig sein bei der Salzzugabe (Erfahrungssache). Als Faustregel gilt: 2 EL (30 g) Salz auf 1 Liter Wasser oder 1 Kaffeelot (20 g bzw. 20 ml) Salz auf 1 Liter Wasser oder 1 TL Salz auf 1 kg Kartoffeln. Es gibt Rezepte, nach denen man Kartoffeln in Meerwasser kocht, der durchschnittliche Salzgehalt der Ozeane beträgt 35 g Salz pro Liter Meerwasser.
In Wien hingegen wird bei Petersilkartoffeln sehr viel sparsamer mit Salz gearbeitet. Also wirklich: sehr viel sparsamer.
Das Kochwiki sagt zum Thema Petersilienkartoffeln (ja, dort nennt man sie in der deutschen Schreibweise, aber nennt das österreichische Rezept), dass ungesalzenes (!) Wasser zum Kochen genutzt wird. Gesalzen wird erst ganz am Schluss, wenn nämlich die gekochten (und gepellten Pell-) Kartoffeln durch geschmolzene Butter geschwenkt und mit Petersil(ie) bestreut werden.
Die Wiener Küche will also nicht Salz als Geschmacksträger einsetzen, sondern den Eigengeschmack der Kartoffel mit dem gehackten Küchenkraut betonen. Statt Salz dient ein Klecks Butter zur Hebung des Geschmackserlebnisses – und das dürfte vermutlich auch die gesündere Herangehensweise sein.
Das flache Geschmacksprofil der Petersilkartoffel ist also exakt so gewollt. Dass das auf meinen salzfokussierten norddeutschen Gaumen traurig und trostlos wirkt, ist nicht die Schuld des Salm Bräu (oder eines anderen Wiener Restaurants). Sie sind richtig zubereitet. Und darum ist es, glaube ich, fair, wenn ich die Petersilkartoffeln einfach gar nicht bewerte.
Das Wiener Schnitzel
Wiener Schnitzel und Preiselbeeren im Salm Bräu Wien
Natürlich ist das Wiener Schnitzel im Salm Bräu vom Kalb. Es kostet 28,90 Euro und kommt mit einem ordentlichen Zitronenschnitz und einem kleinen Pöttchen Preiselbeeren.
Was dem:der geübten Schnitzelesser:in jedoch sofort ins Auge fällt, ist die verhältnismäßig kleine Größe.
Ein traditionelles Wiener Schnitzel ist großzügig bemessen – es ist oft größer als der Teller. Pro Person rechnet man dabei mit 150 bis 200 Gramm Kalbfleisch. Beim edlen Kalbsrücken werden aufgrund der kleineren Stücke oft zwei Schnitzel pro Person serviert.
Zum Vergleich zeige ich hier das Schnitzel im Salm Bräu am 6. Juli 2025 und einige andere Wiener Schnitzel, die ich in Wien im April 2023 auf dem Teller hatte.
Salm Bräu: Wiener Schnitzel mit Petersilkartoffeln und Preiselbeeren, 2025
Restaurant »Beim Hofmeister«: Wiener Schnitzel, 2023
Café Schwarzenberg: Wiener Schnitzel, 2023
Müllerbeisl: Wiener Schnitzel, 2023
Das Schnitzel im Salm Bräu ist mindestens ein Drittel kleiner als die Schnitzel der anderen Restaurants. Nur das Müllerbeisl liefert ebenso kleine Schnitzel – dort allerdings gibt es dann auch gleich zwei Schnitzel der Salm-Bräu-Größenordnung, was darauf hindeutet, dass dort möglicherweise der edle Kalbsrücken Verwendung findet (und trotzdem kostet das Wiener Schnitzel beim Müllerbeisl am heutigen Tag – gerade nachgeschaut – nur 23,90 Euro, also satte 5 Euro weniger als im Salm Bräu).
Jedenfalls war das Schnitzel heute so klein, dass ich die langweiligen Petersilkartoffeln fast alle aufgegessen habe, bloß um satt zu werden.
Okay, es ist klein. Aber taugt das Salm-Schnitzel denn was?
Farbe: Ein perfektes Wiener Schnitzel zeigt eine gleichmäßig goldbraune Farbe ohne dunkle Stellen. Gleichmäßig und goldbraun war es – es sah hervorragend aus. Die Farbe auf meinen Fotos ist leider nicht sonderlich überzeugend, weil das Umgebungslicht natürlich eine Rolle spielt. Aber in Wahrheit hatte es die absolut richtige Farbe.
Panade: Die Panade soll knusprig sein und beim Darüberstreichen mit der Gabel ein charakteristisches Knistern erzeugen. Geknistert hat es beim Streichen, beim Einstechen, beim Schneiden (bzw. Säbeln, weil die Messer da echt alle stumpf waren) und beim Hineinbeißen. Perfekt!
Aber das Markenzeichen eines perfekten Wiener Schnitzels ist natürlich die soufflierte Panade – sie muss sich wellenartig vom Fleisch abheben und aufgebläht sein, sich sogar leicht vom Fleisch lösen. Die charakteristische Wellenform entsteht durch das Schwimmen im heißen Fett und das kontinuierliche Schwenken der Pfanne. Eine flache, fest anliegende Panade würde hingegen auf eine fehlerhafte Zubereitung hindeuten.
Im Salm Bräu bekamen wir alle perfekt soufflierte Wiener Schnitzel. Dass die Panade beim folgenden Bild oben eng auf dem Fleisch aufzuliegen scheint, ist nur dem wirklich stumpfen Messer geschuldet, mit dem ich am Schnitzel herumsäbeln musste.
Wiener Schnitzel im Salm Bräu Wien
Geschmack: Ein perfektes Wiener Schnitzel überzeugt durch die Kombination aus knuspriger Panade und zartem, auf höchstens 4 mm Stärke geklopftes Kalbfleisch. Das Fleisch selbst hat einen milden und delikaten Geschmack, der durch die butterige Note des Butterschmalzes ergänzt wird, in dem das Schnitzel souffliert wird. Die Panade sollte trotz des Tauchbads in heißem Butterschmalz nicht fettig sein, sondern leicht und fluffig. Und all das traf auf mein Schnitzel zu.
Garnitur: Zum Wiener Schnitzel wird in Wien traditionell nur eine Zitronenspalte geliefert. Ich quetsche den Schnitz gern über dem Schnitzel aus (haha, Schnitz – Schnitzel, habt ihr gemerkt?), denn ich finde, dass der säuerliche Geschmack ganz wunderbar dazu passt. Mein Sohn hingegen findet das bescheuert und lutscht die Zitrone lieber gleich direkt aus. Dabei laufen mir immer kalte Schauer den Rücken runter, aber jedem Tierchen sein Pläsierchen.
Das Salm Bräu hat auch noch ein Pöttchen mit sehr leckeren, nicht zu süßen Preiselbeeren dazugestellt – in Wien eigentlich unüblich, wie ich eben noch recherchiert habe. Preiselbeeren werden eher auf dem Land, besonders in der Steiermark, zum Schnitzel serviert.
Das Wiener Schnitzel im Salm Bräu fand ich handwerklich wirklich gelungen und geschmacklich überzeugend. Die Preiselbeeren hatte ich nicht erwartet, sie passten aber ausgezeichnet dazu. Mein Sohn, der bisher jeden Tag ein Wiener Schnitzel gegessen hat, fand es im »Stöckl im Park« (da habe ich – leider – einen Schweinsbraten gegessen) besser als im Salm Bräu, und er hat da sicherlich den besseren Vergleich. Aber was mich angeht, der keinen Vergleich hat, gebe ich dem Gericht für Verarbeitung, Geschmack und Garnitur eine glatte Schulnote 1.
Abzüge gibt es allerdings dafür, dass die Schnitzel, die wir im Salm Bräu bekommen haben, für Wiener Verhältnisse wirklich erschreckend klein waren. Und das wirkt sich negativ auf das Preisleistungsverhältnis aus.
Darum gebe ich als Gesamtnote eine 2-.
Garnitur-Exzesse
Apropos Garnitur. Da gab es historisch am k.u.k.-Hof neben dem Zitronenschnitz auch noch andere Bestandteile zum Wiener Schnitzel: So gab es nicht nur die Zitrone für die Frische, sondern auch Sardellen für eine intensive, umami-reiche Salzigkeit und Kapern für eine pikante, leicht säuerliche Note. Diese Kombination wirkte als Aromageber, der dem milden Kalbfleisch zusätzliche Geschmackstiefe verliehen haben soll. (Würde ich tatsächlich gern mal probieren.)
Außerhalb des Habsburgerreiches wurde das als »Wiener Garnitur« bekannt, sich sofort kulturell angeeignet und mit immer wilderen Dingen kombiniert. Plötzlich gab es neben Zitrone, Sardellen und Kapern zusätzlich Petersilie und Spiegelei (das mit dem Spiegelei kennen wir im Norden als »Schnitzel Holsteiner Art«, allerdings ist das ein Schweineschnitzel). Oder es gesellten sich kleine Pfeffergurken und geschnittene Salzgurken hinzu.
Aber den Vogel schoss wohl der Begründer der Haute Cuisine ab, nämlich Georges Auguste Escoffier. Der machte aus der »Wiener Garnitur« eine Wissenschaft und belegte das Wiener Schnitzel mit einer entkernten Zitronenscheibe, einem Sardellenfilet und einer darauf platzierten Olive und drapierte um das Schnitzel ein Häufchen Kapern, ein Häufchen Eigelb und ein Häufchen Eiweiß.
In Wien selbst findet man das wohl alles ziemlich albern. Hier gibt es die Zitronenspalte und gelegentlich Preiselbeeren zum originalen Wiener Schnitzel. Und das ist auch okay so.
Mein Fazit zum Wiener Schnitzel im Salm Bräu
Es kann sein, dass wir heute einfach Pech mit der Größe unserer Schnitzel gehabt haben, deshalb möchte ich euch nicht davon abhalten, dem Salm Bräu in Wien einen Besuch abzustatten. Es ist gemütlich, das hausgebraute Bier ist lecker (ich hatte ein überraschend fruchtiges Pils und ein Helles), und auch die anderen Gerichte, die auf und ab getragen wurden, sahen fantastisch aus. Eine Reservierung scheint mir aber auf jeden Fall sinnvoll zu sein, denn der Laden ist immerzu gerammelt voll, wenn wir dran vorbeigehen. Und wir gehen dauernd dran vorbei, weil unser Hotel quasi nebenan ist.
Noch immer bin ich in Wien. Gestern war ich im »Stöckl im Park«, heute auf der anderen Seite des Belvedere, nämlich im »Huber’s« im Rennweg. Und weil es heute Abend für mich gern etwas leichter sein durfte als gestern, orderte ich mir das nach dem Haus benannte Sandwich. Doch der Reihe nach.
Das Ambiente
Wenn du ins »Huber’s« eintrittst, findest du dich in einer ziemlich modernen und glatten Welt wieder. Der Boden ist hell gefliest, eine riesige Theke dominiert den Raum. Große Glasscheiben lassen viel Licht in den recht kleinen Gastraum. (Im ersten Stock gibt es noch einmal Platz für 40 weitere Personen). Das Flair des Ladens ist auf ganz andere Weise ähnlich wie im »Stöckl« gestern – formal dürften die Einrichtungselemente überhaupt nicht zusammenpassen, und trotzdem kam ich nicht umhin, mich sofort wohlzufühlen.
Wir wurden an zwei zusammengerückte, recht kleine quadratische Tische gewiesen, die in der Ecke platziert waren. Die Tische hatten ein zentrales Tischbein mit einem schweren Fuß, was uns dabei half, unsere Beine gut sortieren zu können. Denn an jeder der geschätzt unter einem Quadratmeter kleinen Tischplatten mussten drei Personen mit insgesamt sechs unteren Extremitäten sitzen.
Wir saßen in der dunklen Ecke ohne Fenster. (Keine Sorge – es war hell genug.) An den beiden Wänden im Eck waren Holzbänke installiert. Ich trollte mich ans Tischende und quetschte mich auf diese Bank. Mit mir mussten auch noch meine Schwiegereltern leiden, wie sich im Laufe des Abends noch herausstellen sollte. Denn die Bänke waren alles andere als gemütlich. Darüber konnten auch die vielen riesigen Deko-Kissen nicht hinwegtäuschen, die, wo immer möglich, verteilt lagen und keinerlei praktischen Nutzwert hatten. Sie waren einfach viel zu riesig, um sie sich in den Rücken stopfen zu können.
Immerhin: Mein Sohn, meine Schwägerin und meine Frau hatten sehr bequeme Sessel mit wunderbar anzufassenden Stoffbezügen erwischt, in denen sie entspannt sitzen konnten.
Im Hintergrund plätscherte die ganze Zeit ruhige, chillige Bar-Musik – nichts Aufdringliches, nichts, was einem auf den Zwirn gehen könnte. Und damit das genaue Gegenteil dessen, was hier gerade an der Hotelbar läuft, wo ich sitze, um diese Zeilen zu schreiben. (Das ist nämlich der einzige Ort im Hotel, an dem das Wi-Fi stabil und schnell ist.) Aus den Lautsprechern dröhnt hier unangenehm und laut primitiv zusammengekloppte Stampfmusik, die nicht so recht zu wissen scheint, ob sie Schlager oder doch Techno sein will. Ich danke jedenfalls an dieser Stelle allen 3.000 Gottheiten der Menschheitsgeschichte für die Erfindung der AirPods Pro mit ihrer recht ordentlichen Lärmunterdrückung. (Allerdings könnte sich mal eine dieser Gottheiten darum kümmern, dass wirklich gar nichts mehr durchdringt.)
Aber ich schweife ab – zurück zum »Huber’s«.
Auch heute war es wieder sehr warm in Wien. Mit nur 25 °C zwar immerhin etwa zehn Grad kühler als gestern, dafür aber erheblich drückender. Das »Huber’s« hatte den Kampf dagegen erstaunlich erfolgreich mit nur zwei Dyson-Turmventilatoren aufgenommen. Denn der Gastraum war überraschenderweise angenehm kühl. Mehrfach habe ich mich umgeschaut, ob nicht doch irgendwo eine Klimaanlage versteckt war, aber konnte keine entdecken. Allerdings hatte meine Schwägerin den Luftstrom genau in ihrem Rücken – und das fand sie gar nicht so toll. »Hat irre gezogen«, sagte sie mir.
Mein besonderes Interesse weckte eine Vitrine, in der gut und gern drei Dutzend Flaschen mit honiggoldener Flüssigkeit verweilten. »Whisky!« dachte ich erfreut und stromerte zur Vitrine hinüber, um die Flaschen näher in Augenschein zu nehmen. Aber nein, kein Whisky. Bloß Bourbon, also amerikanischer Whiskey (mit »e«). Mit dem kann ich persönlich einfach nichts anfangen. Klar, es mag viele Bourbons geben, die objektiv betrachtet hervorragend sind.
Ich habe mal bei der vermutlich besten Whiskybar in Hannover, dem Oscar’s, an einem Bourbon-Tasting teilgenommen. Da waren schon wirklich exklusive Flaschen dabei. Ich erinnere mich an einen »Blanton’s Straight from the Barrel«, von dem die Flasche in Europa nur sehr selten unter 300 Euro zu haben ist, und auch der Rest der sechs Pours war hochwertig und -preisig. Und dennoch: Meinen Geschmack treffen Bourbons allesamt nicht. Sie sind mir im Wesentlichen zu süß, zu flach und zu langweilig. Selbst die, die von Kritikern hochgelobt werden. Ich bleibe darum bei den Iren (die haben übrigens auch ein »e« im Whiskey und zudem die ganze Sache auch erfunden), vor allem aber bei den Schotten. Meine bevorzugten Whiskys stammen allesamt von der Isle of Islay und knüppeln dir ein Stück rauchenden Torf in den Schlund, sobald du einen Schluck davon nimmst.
Aber ich schweife schon wieder ab. Darum geht’s hier gar nicht! Ich will doch das »SANDWICH Huber’s« besprechen!
Der Service
Erinnert ihr euch noch an die frühen 2000er, als plötzlich die Hipster-Bewegung ausbrach? Als sich wie aus dem Nichts normale Leute tätowieren ließen, was zuvor ausschließlich Seeleuten, Knastbrüdern, Rockergang-Mitgliedern und Punks vorbehalten zu sein schien? Als Männer sich wieder trauten, Vollbärte zu tragen? Lange, prachtvolle Vollbärte, die sie unfassbar gut pflegten? Und die im Kontrast zum sonstigen (scheinbaren!) Mir-doch-egal-wie-ich-rumlaufe-Outfit standen? Diese Typen mit den Hornbrillen, Second-Hand-Flanellhemden, Röhrenjeans und Hosenträgern? Die plötzlich wieder die Schiebermützen aus den 1930ern trugen?
Die erste Generation dieser Hipster ist jetzt zwischen 40 und 50, und einem davon gehört dieser Laden. Sein gepflegter Bart ist mittlerweile schlohweiß, die Tattoos am Arm hat er nicht weglasern lassen, und die Schiebermütze sitzt noch immer.
Zusammen mit einer Dame bediente er uns. Beide waren freundlich, professionell, aufmerksam, zurückhaltend. Allerdings blieben die schon gedeckten, aber bis zum Ende ungenutzten Wassergläser auf den relativ kleinen Tischen stehen und wurden nicht abgeräumt. Das hat den Platz dann doch ganz schön eingeschränkt.
Die Bestellung
Ich erwähnte es schon: Ich bestellte das »SANDWICH Huber’s«, weil ich gern etwas Leichteres als tags zuvor haben wollte. In der Karte war das so beschrieben: »Toastbrot mit Hühnerbrust, Tomate und Spiegelei an Blattsalat«, das Ganze für 16,20 Euro. Auch meine Schwägerin und meine Schwiegermutter wählten dieses Gericht, während mein Sohn und mein Schwiegervater das Wiener Schnitzel (mit Petersilkartoffeln statt mit Kartoffelsalat) orderten und meine Frau sich für einen Blattsalat mit Prosciutto und Melonen entschied.
Gruß aus der Küche
Plötzlich stand da diese Espressotasse vor uns. Darin eine grüne, schaumige Flüssigkeit: der Gruß aus der Küche (Grüße gehen zurück!).
Es handelte sich dabei um eine cremig pürierte Erbsensuppe mit Minze. Mein Sohn löffelte die Tasse in Nullkommanix leer, was ich mit einiger Verwunderung zur Kenntnis nahm, denn er hasst Erbsen. Überhaupt hasst er alles, was irgendwie gesund sein könnte. Teenager-Allüren halt. Was ich sagen will: Dieses Süppchen war richtig, richtig lecker.
So lecker, dass ich viel zu spät begriffen habe, dass ich vielleicht mal ein Foto davon machen sollte. Darum hier nur eines mit einer halb leeren Tasse. Sorry.
Hier gibt es zum Einstieg in den Abend gleich mal die Schulnote 1 von mir!
Erbsen-Minz-Suppe in einer Espressotasse
Überraschung! Noch eine Vorspeise!
Kurz darauf stand ein Korb mit ein paar Scheiben Weiß- und Graubrot auf dem Tisch, dazu eine längliche Porzellanschale mit kleinen Butterkügelchen und eine weitere Schale mit vielleicht 20 Oliven und einem knappen Dutzend Kapernäpfeln.
Kapernäpfel und Oliven in einer Porzellanschüssel
Überraschung! Noch ein Gruß aus der Küche! Dachten wir zumindest erst. Stimmte aber nicht. Aber darauf komme ich nachher noch. Was hatte nun diese kleine Überraschung kulinarisch auf dem Kasten?
Das Graubrot war ganz okay, für meine zugegebenermaßen verwöhnten norddeutschen Standards aber war es nichts Außergewöhnliches. Denn in der Region Hannover, wo ich herkomme, gibt es schließlich das Gersterbrot. Für mich ist das die Königin aller Graubrote, an dem sich der Rest zu messen hat. Dieses hier war auf einer Skala von 1 (frisches Gerster vom Handwerksbäcker) bis 6 (geschnittenes Industriegraubrot aus dem Discounter) eine solide 3+. Das Weißbrot kann ich nicht beurteilen – ich habe es nicht probiert.
Die Butter wurde uns in Kügelchen präsentiert und erwies sich als in einer perfekt streichfähigen Temperatur. Ich hatte das Gefühl, dass sie ganz leicht gesalzen war, aber das kann täuschen, weil ich direkt zuvor in einen Kapernapfel gebissen hatte. Ich liebe Kapernäpfel (und Kapern!), bekomme aber leider viel zu selten die Gelegenheit zu diesem Genuss, weil weder meine Frau noch mein Sohn Kapernäpfel oder Kapern mögen und sich beides daher nicht in unserer Küche findet.
Kapernäpfel sind die Früchte des Echten Kapernstrauchs, während Kapern dessen noch geschlossenen Blütenknospen sind. Der Hauptunterschied zwischen beiden liegt also im Entwicklungsstadium und Erntezeitpunkt.
Lässt man die Blütenknospen der Kaper am Strauch, entwickeln sich daraus nach der Blüte die Kapernäpfel (regional auch Kapernbeeren genannt). Sie sind deutlich größer und fester als Kapern, enthalten viele kleine Samen und werden ebenfalls eingelegt angeboten – wenn ihr sie denn finden könnt. In normalen Supermärkten gibt es sie eigentlich nur, wenn ein mediterranes Spezialitätenregal vorhanden ist.
Nach der Ernte werden sie einer Salzreifung unterzogen, dann gründlich gewaschen und anschließend in mildem Essig oder Olivenöl eingelegt. Danach sind sie außen knackig, innen buttrig und schmecken ausgewogen herb-säuerlich.
Ich mag Kapernäpfel normalerweise gern, die hier fand ich allerdings jetzt nicht so geil. Ihr Aroma war eben nicht ausgewogen, sondern ziemlich überwältigend und seltsam. Sie waren viel zu salzig, gleichzeitig aber auch unangenehm sauer. Mein Schwiegervater, der das erste Mal einen Kapernapfel aß, fand: »Schmeckt wie eine eingelegte Salzgurke.« Und damit kam er ziemlich nahe dran, finde ich. Er mag eingelegte Salzgurken, und so wanderten die Kapernäpfel einer nach dem anderen in seinen Bauch. Ich hatte nach dem Zweiten schon genug, weil der genauso schlecht war wie der Erste.
Kapernäpfel sind eigentlich eine Delikatesse. Diese hier waren es nicht, sondern mit Abstand die schlechtesten Kapernäpfel, die ich je gegessen habe.
Aber die Oliven, die waren richtig toll. Zart, fleischig, intensives und doch zurückhaltendes Oliven-Aroma, das mich an die Sorte Kalamon erinnerte, die aus der griechischen Region Messenien stammt (und oft unter dem Namen der darin liegenden Stadt Kalamata vermarktet wird). Das hier waren aber keine Kalama-Oliven – dafür waren sie zu klein, zu rund, zu hell. Egal: Sie waren wirklich lecker. Ich bekam kaum welche ab, weil mein Schwiegervater sich fast alle unter den Nagel gerissen hatte. Nachdem mein Schwiegervater von »Gurke« sprach, hat meine Frau mal ausnahmsweise einen Kapernapfel probiert. Dass sie die nicht gut fand, hat mich jetzt nicht so überrascht. Aber die Oliven fand sie auch sehr gut.
Nichts von beidem – weder Kapernäpfel noch Oliven – haben meine Schwägerin, meine Schwiegermutter und mein Sohn angerührt. Die mögen das nämlich alle nicht. und das Weißbrot lag am Ende auch noch unangetastet im Korb.
Was gebe ich da an Schulnoten? Die Butter nehme ich mal aus der Wertung raus – war halt streichfähige Butter.
Graubrot: 3+ (wenn ihr mir gut zuredet, mache ich eine 2- draus)
Kapernäpfel: 5
Oliven: 1
Das SANDWICH Huber’s
Dann kam mein »SANDWICH Huber’s«. Wir erinnern uns, was im Menü stand: »Toastbrot mit Hühnerbrust, Tomate und Spiegelei an Blattsalat«. Ich möchte das SANDWICH jetzt zunächst völlig wertfrei und möglichst objektiv beschreiben:
unten: eine trockene Scheibe ungetoastetes Toastbrot.
darauf: drei Scheiben Tomaten.
darauf: ein Hühnerbrustfilet im Butterfly-Schnitt, hell gebraten.
darauf: eine trockene Scheibe ungetoastetes Toastbrot.
darauf: ein Spiegelei.
darüber gesprenkelt: geschnittener Schnittlauch.
daneben: geschnittener grüner Blattsalat.
Damit endet die wertfreie, objektive Beschreibung. Jetzt kommt die Bewertung. Beginnen wir beim Salat.
Der begleitende Salat
Es handelte sich um einen stinknormalen grünen Salat. Der war in ungleichmäßig große und kleine Stückchen geschnitten und mit einem Essig-Öl-Dressing angemacht, das so unsäglich langweilig war, dass es mir schier die Sprache verschlagen hat. Der ganze Salat war labberig und schmeckte nach nichts, außer ein bisschen nach dem Essig im Dressing. Und dann raunte mir meine Schwägerin auch noch zu: »Ist der von gestern? Der ist so braun.«
Dieser Salat hatte das Niveau jener uninspirierten Beilage, die als Entschuldigung für verspätete Lieferung in durchsichtigen Plastikschälchen verpackt in derselben Warmhaltebox zusammen mit der heißen Pizza vom Lieferservice kommt. Allerdings hatte »Huber’s« ein schlechteres Dressing. Kurz: Der Salat vom »Huber’s« war nichts anderes als wirklich, wirklich mies.
Das Sandwich selbst
Es ist kaum zu glauben, aber das nach dem Haus selbst benannte »SANDWICH Huber’s« griff tatsächlich schlicht und ergreifend auf simpelstes, ungeröstetes Toastbrot direkt aus der Tüte zurück. Die Tomaten hatten die unterste Scheibe schon vollständig durchgesuppt, als das Gericht vor mir stand, weil wirklich nichts anderes als die im Menü aufgezählten Bestandteile im Sandwich enthalten war – kein Salatblatt, keine Soße, nichts.
Das machte das Huhn zur Hauptattraktion. Und das muss dann auch liefern.
Hühnerbrust ist immer eine Gefahr. Wir wissen ja alle, dass Hühnerbrust kulinarisch betrachtet nicht gerade das beste Stück vom Huhn ist – es hat keinen besonderen Eigengeschmack (wie etwa die dunklen Teile des Huhns) und es tendiert wegen des geringen Fettgehalts dazu, beim Braten sehr schnell trocken zu werden – besonders dann, wenn es im Butterfly-Schnitt halbiert wurde.
Und das erwies sich hier leider als zutreffend. Das Huhn war trocken und dröge. Und weil die Küche anscheinend vollständig auf Gewürze verzichtet, war es zudem auch noch richtig fade. Ja, das ließe sich natürlich mit den Salz- und Pfeffermühlen auf dem Tisch nachsteuern – aber eine Grundwürze sollte doch schon zu erahnen sein.
Kein bisschen Raffinesse war an diesem lieblosen Stapel von Allerweltslebensmitteln zu erkennen. Es fehlten die Röstaromen, der Crunch, der Pepp von ein paar Umdrehungen der Pfeffermühle, ein paar Salzkristalle. Es war tatsächlich ausschließlich das im Gericht, was auf der Karte stand: Toastbrot, Tomate, Hühnerbrust.
Bis hierher war das »SANDWICH Huber’s« eine reine Enttäuschung.
Aber das Spiegelei war perfekt. Unten war es schön kross gebraten, und die Konsistenz des Eigelbs war sowohl für jene geeignet, die es lieber flüssig mögen, als auch für jene, die es durchgegart bevorzugen, denn der Dotter war nicht mehr richtig flüssig, aber auch noch nicht ganz fest. Und der Schnittlauch harmonierte ausgezeichnet – wie immer mit Eiern. Überraschenderweise stand der gar nicht in der Beschreibung des Sandwiches.
Aber rekapitulieren wir mal: Auf dem ganzen Teller war lediglich das Spiegelei gut. Alles andere nicht. Für 8 Euro hätte ich gesagt: Okay, macht immerhin satt. Aber dieser Teller kostete eben 16,20 Euro, nicht 8 Euro. Das Preis-Leistungs-Verhältnis dieses Sandwichs ist absolut daneben.
Dieses »SANDWICH Huber’s« ist eine reine Enttäuschung. Wäre das Spiegelei nicht gewesen, hätte der ganze Teller von mir eine glatte Schulnote 6 bekommen. So rettet es sich mit Ach und Krach gerade noch so auf eine 5.
Aber doof wie man ist, ist man ja höflich. Man sagt nichts. Man lässt das bestellte Gericht nicht zurückgehen. Man isst brav auf. Man nickt freundlich, wenn man gefragt wird, ob alles recht sei.
Dann bin ich halt auch selbst schuld.
Wem von euch es nur darum geht, wie mir das Essen gefallen hat, kann an dieser Stelle aufhören zu lesen. Aber dann kam die Rechnung. Und mit der habe ich eine Rechnung offen.
Die überraschende Rechnung
Auf der Rechnung tauchte ein Posten auf, der mich leicht irritierte: ein Abendgedeck. Sechsmal. Zu je vier Euro. Was sollte das denn sein? Ich schaute schnell online in die Speisekarte des »Huber’s«. Und fand bei sehr genauem Hinsehen mit viel Gepinche und Hineingezoome:
Screenshot des Abendgedecks, der überraschenden Vorspeise
Was soll das heißen, ihr könnt das nicht lesen? Ist euch das etwa zu klein? Zu unleserlich? Genau! Uns auch. Bezahlen mussten wir es aber trotzdem.
Damit ihr nicht an eurer Sehkraft zweifelt, übertrage ich das mal in eine lesbare Schriftart und -größe:
Abendgedeck Wir verrechnen fürs Gedeck (Stoffserviette*Felzl-Brot*Butter*Antipasti) € 4,00
Was bitte?
Wir sollen VIER EURO für eine Stoffserviette auf einem blanken Holztisch bezahlen? PRO PERSON?
VIER EURO PRO PERSON für ein paar Scheiben Brot und Butter?
VIER EURO PRO PERSON für ein paar Oliven und Kapernäpfel, die drei von uns niemals bestellt hätten?
VIER EURO – PRO PERSON???
VIER EURO für geradezu profane Snacks, die wir nicht bestellt hätten? Und für eine dämliche Stoffserviette auf einem blanken Holztisch?
VIER EURO für eine Wahl, die den Gästen des »Huber’s« gar nicht zugestanden wird, weil das Abendgedeck zwangsweise zum Teil der Bestellung wird?
Und ja – das galt wirklich pro Person, nicht für den ganzen Tisch.
Mich hat das richtig geärgert.
Wieso haben sechs Leute den auf beinahe jeder Seite der Speisekarte zu findenden Hinweis auf das zwangsweise Abendgedeck nicht bewusst wahrgenommen?
Ja, der Hinweis steht wirklich auf fast jeder Seite. Ich habe nachgeguckt. Trotzdem ist er außerhalb der Wahrnehmung. Im Englischen gibt es dafür den Begriff »hiding in plain sight«, dessen Bedeutung sich nicht gut ins Deutsche übertragen lässt (»sich deutlich sichtbar verstecken«). Jedenfalls riecht das stark nach Dark Pattern (auch »Deceptive Design« oder »Deceptive Patterns« genannt), also bewusst manipulativer Gestaltung, die Leute dazu bringt, Entscheidungen zu treffen, die nicht in ihrem Interesse liegen – etwa das Akzeptieren nachteiliger Bedingungen. Besonders häufig ist dieses Getrickse mittlerweile in Softwares und Apps anzutreffen, aber ist bei unseriösen Marketing-Menschen seit Jahrzehnten gängige Praxis.
Ich war 20 Jahre lang Grafikdesigner. Und darum habe ich mir das Design der ganzen Karte noch einmal ganz genau angeschaut. Hier die Salate-Karte, die beispielhaft für alle anderen Seiten mit dem Hinweis auf das Abendgedeck steht (abgerufen am 4. Juli 2025):
Die Salate-Seite aus der Huber’s-Speisekarte, Stand: 4. Juli 2025
Exkurs in die Typografie – weil es sein muss
Die Schriftart, die das »Huber’s« für seine Speisekarte nutzt, ist die »Papyrus«. Sie ist insgesamt typografisch eine ganz, ganz schlimme Wahl – nicht nur auf Speisekarten, sondern für alle Situationen des Lebens. Es ist eine Schrift, die niemand einsetzen und die am besten gar nicht existieren sollte. Sie ist nämlich in jeder Hinsicht furchtbar.
Problem Mikrotypografie
Das gravierendste Problem der Papyrus liegt in den katastrophalen Kerning-Tabellen. Kerning meint die Feinabstimmung der Buchstabenabstände zwischen spezifischen Zeichenpaaren. Der Font enthält praktisch keine funktionierenden Kerning-Paare, was bedeutet, dass alle 2.704 möglichen Kombinationen zwischen Groß- und Kleinbuchstaben manuell von dem:der Grafikdesigner:in korrigiert werden müssten. Was natürlich niemand tut. Was die Lesbarkeit beeinträchtigt.
Die ungleichmäßigen Strichstärken und irregulären Rundungen der Buchstaben in der Schrift führen zudem zu einem unruhigen Leseerlebnis. Diese Eigenschaften, die eine handgeschriebene Ästhetik simulieren sollen, zerstören die typografische Konsistenz, die aber für die Lesbarkeit erforderlich ist. Die ausgefransten Kanten und unregelmäßigen Konturen verstärken diese Problematik zusätzlich.
Ein weiteres fundamentales Defizit der Schrift liegt im Fehlen einer vollständigen Schriftfamilie. Die Papyrus bietet keine echten Fett- oder Kursiv-Varianten, was die Gestaltung von typografischen Hierarchien unmöglich macht. Manche Programme, vor allem Office-Anwendungen, die nicht als Design-Produkt gedacht sind, erlauben digitale Schrägstellungen und digitale Fettungen, die die Lesbarkeit weiter einschränken. Hier werden genau diese digitalen Verzerrungen genutzt.
In kleinen Schriftgrößen wird die Papyrus zum typografischen Albtraum. Während die Schrift bei großen Größen noch halbwegs funktioniert, verliert sie bei Schriftgrößen unter 12 Punkt jegliche Lesbarkeit. Denn die Binnenräume der Buchstaben (Fachvokabel: Punzen) sind bei der Papyrus zu eng gestaltet. Das führt dann dazu, dass Buchstaben wie a, c, e und s bei kleineren Schriftgrößen absaufen und unlesbar werden. Außerdem verschmelzen die unregelmäßigen Konturen bei kleinen Schriftgraden zu einem unleserlichen Chaos, das besonders bei schlechten Lichtverhältnissen problematisch wird.
Die mangelnde Unterscheidbarkeit ähnlicher Zeichen verschärft die Lesbarkeitsprobleme. Während professionelle Schriftarten klare Unterschiede zwischen 0 und O, I und l sowie rn und m aufweisen, verschwimmen diese Unterschiede bei der Papyrus durch die »künstlerische« Gestaltung.
Problem Makrotypografie
Die inkonsistenten Ober- und Unterlängen der Papyrus führen zu einem gestörten Zeilenrhythmus. Der Grauwert des Schriftbildes wird durch die seltsamen Strichstärken ungleichmäßig, was zu optischen Störungen im Textfluss führt. Professionelle Typografie erfordert einen gleichmäßigen Grauwert für ermüdungsfreies Lesen.
Die digitale Umsetzung der 1982 von Chris Costello ursprünglich mal handgezeichneten Schrift führt außerdem zu Skalierungsproblemen. Die Proportionen der Buchstaben funktionieren nur in einem sehr begrenzten Größenbereich. Bei größeren Schriftgrößen wirken die Unregelmäßigkeiten übertrieben, bei kleineren verschwinden wichtige Details.
Die Papyrus ist ein mikro- und makrotypografischer Totalschaden. Die fundamentalen Kerning-Probleme, die mangelnde Skalierbarkeit und die fehlende Schriftfamilie machen sie für jede professionelle Anwendung völlig unbrauchbar.
Insbesondere trifft das dort zu, wo Menschen unterschiedlichen Alters mit unterschiedlichen Sehstärken bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen einem in der Papyrus gesetzten Text wichtige Informationen entnehmen sollen, die ihre Finanzen betreffen.
Bei Speisekarten zum Beispiel.
In meiner Zeit als selbstständiger Grafikdesigner zwischen 2007 und 2015 habe ich insgesamt vier Kunden aus der Gastronomie jahrelang betreut. Darum weiß ich, dass der wichtigste Aspekt der Speisekarten-Typografie die bestmögliche Lesbarkeit bei allen Lichtverhältnissen ist. Die Faustregel lautet: »Je schummriger das Licht, desto leichter muss die Speisekarte zu lesen sein«. Die unregelmäßigen Konturen und die ausgefransten Kanten der Papyrus erschweren das Lesen erheblich und sind in keinem Fall geeignet.
Nun nutzt das »Huber’s« ja bei allen Gerichten zwar die Papyrus, aber immerhin in recht große Schriftgröße. Sprich: Die Gerichte sind noch einigermaßen lesbar. Die Preise hingegen sind schon arg klein gehalten, ebenso die Hinweise auf die Allergene.
Und auch diese beiden Zeilen zum Abendgedeck sind verdächtig klein.
Dazu kommt die satztechnische Katastrophe in der Klammer – »Stoffserviette*Felzl-Brot*Butter*Antipasti«. Ohne Leerzeichen verschmilzt all das zu einem völlig unlesbaren Brei.
Die ganze typografische Gestaltung des Abendgedeck-Hinweises ist ein ziemlich deutlicher Hinweis auf ein Dark Pattern. In diesem Fall nutzt die visuelle Verschleierung der Zusatzkosten die typografischen Schwächen der gewählten Schriftart als Werkzeug der Kundenmanipulation.
Im Kern werden hier gezielt menschliche Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster ausgenutzt, um eine Entscheidung herbeizuführen, die der Gast bei vollständiger Information vermutlich nicht getroffen hätte.
So funktioniert der Trick:
Versteckte Information: Die Gebühr wird auf der Speisekarte so unauffällig, klein oder schlecht lesbar platziert, dass sie von den meisten Gästen beim Lesen übersehen, als normaler Teil des Angebots oder als ergänzende Informationen zum Menü (wie etwa der Allergen-Liste) wahrgenommen wird.
Fehlende Wahlmöglichkeit: Der Gast wird nicht aktiv gefragt, ob er das Abendgedeck überhaupt möchte, sondern es wird automatisch geliefert und berechnet – ohne explizite Zustimmung.
Fait-accompli-Prinzip: Mit der Rechnung werden die Gäste mit der Gebühr konfrontiert. Zu diesem Zeitpunkt ist die Leistung (hier das Gedeck) bereits erbracht und konsumiert, und ein Widerspruch erscheint den Gästen sozial unangenehm oder »zu spät«.
Widerstandsminimierung: Viele Menschen vermeiden Konflikte oder Diskussionen über kleine Beträge, insbesondere in sozialen Situationen wie einem Restaurantbesuch. Die Hürde, nachträglich zu reklamieren, ist hoch.
Warum ist das manipulativ?
Es wird gezielt darauf gesetzt, dass die Gäste die Zusatzkosten nicht bemerken und sich später nicht mehr dagegen wehren.
Die Information ist zwar formal vorhanden, aber so gestaltet, dass sie in der Praxis wirkungslos bleibt.
Die Gäste werden in eine Situation gebracht, in der sie sich ohne echte Zustimmung mit einer zusätzlichen Zahlung abfinden müssen.
Diese kalkulierte Akzeptanz ist deshalb manipulativ, weil sie auf Intransparenz und sozialem Druck basiert. Sie nimmt den Gästen die Möglichkeit einer informierten Entscheidung und nutzt typische menschliche Verhaltensweisen gezielt zum Vorteil des Restaurants aus.
Ich musste nur ganz kurz recherchieren, um auf die Schnelle etliche Hinweise zu finden, dass das alles vollkommen illegal ist. In der Preisangabenverordnung (PAngV), im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und sogar dem Strafgesetzbuch (StGB) gibt es einschlägige Abschnitte.
Aber eben nur, wenn »Huber’s« in Deutschland säße.
Tut »Huber’s« aber nicht.
»Huber’s« sitzt in Österreich. Da der Abendgedeck-Hinweis formal auf der Speisekarte steht, erfüllt das Restaurant die Anforderungen des österreichishen Rechts, konkret § 6 Abs. 1 PrAG. Die unlesbare Schrift und manipulative Darstellung verstoßen hier ganz offenbar nicht gegen die für normale Gastgewerbebetriebe geltenden österreichischen Bestimmungen.
Meine Learnings aus diesem Desaster
Ich habe im Rahmen dieses Artikels gelernt, dass es in gehobenen Restaurants in Österreich eine versteckte Zwangsleistung geben kann (übrigens ist das »Huber’s« kein gehobenes Restaurant. Das wäre es aber wohl gern). Zwar wird die Zwangsleistung formal korrekt in den Speisekarte ausgezeichnet, aber oftmals exakt so, dass der Zwang von uninformierten Auswärtigen gar nicht erkannt werden kann. Ja, genau: Dass das »Huber’s« auf Dark Pattern setzt, ist kein Einzelfall in der Alpenrepublik.
Wenn ihr nach ähnlichen Erlebnissen googelt, stoßt ihr sehr schnell auf den Fall einer Frau, die im Lokal »Bierführer« in Goldegg im Salzburger Land zu Gast war. Beim »Bierführer« war das Gedeck ebenfalls in aller Öffentlichkeit versteckt, nämlich so, dass es einem normalen Gericht auf der Speisekarte aussieht (damals noch unter allen anderen Speisen, heute oben drüber). Aber nirgendwo steht, dass das Gedeck eine Kaufverpflichtung darstellt:
Der obere Teil der Speisekarte vom »Bierführer«, abgerufen am 5. Juli 2025
Die Begründung, mit der österreichische Gastronom:innen die Existenz eines derartigen Zwangspostens rechtfertigen, ist geradezu haarsträubend. Konfrontiert mit der Kritik der Gästin am versteckten Posten des Gedecks im »Bierführer« zitiert der Münchener Merkur den Sprecher der Restaurant-Gruppe, zu der auch der »Bierführer« gehört:
»Dieser Posten kommt durch die Kosten für die Tischdecken, die Stoff- Mundservietten, das ofenfrische Brot, die zwei verschiedenen Aufstriche und den lokalen Karreespeck zustande. Und natürlich die Kosten für die Mitarbeiter, die waschen, bügeln, das Brot backen, die Aufstriche zubereiten und dergleichen.« – Andreas Pointner
Ähm – hat da jemand womöglich die Basics der Produktpreisgestaltung nicht verstanden? Oder können wir vielleicht demnächst dann noch damit rechnen, dass wir in österreichischen Restaurants unter dem Begriff »Raumkultur« für die Reinigung von Tischplatte, Fußboden und der Toiletten zu 2 Euro pro Nase zur Kasse gebeten werden?
Ja, es mag in Österreich gang und gäbe sein, dass Gastwirt:innen ihre Gäste über den Tisch ziehen und die sich das auch noch gefallen lassen. Andere Länder, andere Sitten halt. Das hindert mich persönlich, der mit dem jahrhundertealten hanseatischen Prinzip des ehrlichen Kaufmanns aufgewachsen ist, jedoch nicht daran, Restaurants mit in die Karte hineingeschweinigelten verdeckten Zwangsgebühren als kackdreist, unlauter, ehrlos und absolut unseriös zu empfinden.
Oder um es mal in Landessprache loszuwerden: »I hätt ned glaubt, dass de österreichischen Wirt’ mi so hintergeh’n.«
In diesem Fall, dem »Huber’s«, passte die Schweinigelei sehr gut ins Bild.
»Wien, nur Wien, du kennst mich up, kennst mich down«, so sang Falco in »Vienna Calling«. Genau so geht es mir jedes Mal, wenn ich in der Stadt an der Donau bin. Denn jedes Mal, wenn ich in der Stadt an der Donau bin, fühle ich mich nicht nur kulturell, sondern auch kulinarisch rundherum verstanden.
Heute war ich mit meiner Familie bei 36 °C Außentemperatur im »Stöckl im Park«. Der Besuch war nur eine Notlösung, denn der Laden, bei dem wir eigentlich reserviert hatten, war überraschenderweise geschlossen. Ein handgeschriebener Zettel an der Tür ließ uns etwas ratlos zurück. Denn wir hatten Hunger, und es war gerade 18:45 Uhr, also überall Hochbetrieb in den Restaurants. Und wir waren mit sechs Personen unterwegs – die kriegt nicht jeder Laden mal eben unangekündigt unter.
Das »Stöckl« lag nur ein paar Hundert Meter von unserem eigentlichen Restaurant entfernt. Normalerweise hätte ich das gar nicht angesteuert, denn die Bewertungen zum Essen und zum Service sind ziemlich durchwachsen, besonders, wenn man nicht nur auf einer Bewertungsplattform schaut. Viele Gäste loben das freundliche Personal, das schöne Ambiente und die Qualität mancher Gerichte. Andererseits gibt es aber auch die exakt gegenteiligen Rezensionen: harsche Kritik an einzelnen Speisen, die teilweise als lieblos zubereitet oder nur aufgewärmt empfunden werden, an der Lautstärke und am Preis-Leistungs-Verhältnis. Und der Service wird für meinen Geschmack viel zu häufig als viel zu lausig beschrieben.
Aber es war einfach nichts anderes in der Nähe, das mal eben spontan Platz für sechs Personen bot. Es half also nichts – notgedrungen mussten wir hinein.
Das Ambiente
Das »Stöckl im Park« ist eine Brauerei und Gaststätte im 3. Wiener Bezirk, gelegen im Schwarzenberggarten an der Prinz-Eugen-Straße. Es verfügt nicht nur über einen Gastraum (vielleicht sind es sogar mehrere, das habe ich in der Eile nicht richtig sehen können), sondern vor allem auch über einen weitläufigen, sehr schönen Biergarten mit laut Website 4.000 Quadratmetern Fläche und schattigen Bäumen. Den haben wir aber wegen der drückenden Hitze gar nicht in Betracht gezogen – wir haben stattdessen im kühlen Souterrain Platz genommen.
Die Einrichtung dieses Souterrains war modern und zweckmäßig, aber doch mehr oder weniger rustikal-gemütlich – eine seltsame Mischung, die ich auch jetzt in der Nachbetrachtung nicht richtig greifen kann, die aber irgendwie doch stimmig zusammenpasst. Wir saßen auf erstaunlich bequemen Sitzbänken an zwei aneinander geschobenen quadratischen Holztischen ohne Tischdecken oder anderen Schnickschnack. Bonus bei dieser Platzierung: Die Getränketheke war in unmittelbarer Nähe, das gezapfte Kaltgetränk kam perlend frisch an den Tisch.
Der Service
Wir wurden von Christian bedient, einem dauerlächelnder Mann irgendwo in seinen 20ern, 30ern oder 40ern (absolut unmöglich zu sagen), der uns sofort gutherzig duzte, obwohl viel, viel, VIEL ältere Personen am Tisch waren. Seine Augen blitzten, seine Stimme war warm, und seinen Wiener Dialekt hatte er klar unter Kontrolle. Für mich als Norddeutscher war nicht einmal auszumachen, ob er überhaupt wirklich herumwienern könnte – er sprach nämlich so bemüht Deutsch mit uns doofen Piefkes, dass er am Ende, als es um den Nachtisch ging, grundsätzlich nur von »Sahne« sprach, obwohl doch jede:r weiß, dass das hierzulande »Obers« heißt.
Aber ich ahne, warum der Service in den Bewertungen so widersprüchlich bewertet wird. Denn für viele meiner ach-so-zartbesaiteten Landsleute kommt alles Österreichische irgendwie »grantelnd« daher. Insbesondere der Wiener Dialekt wird pauschal als »arrogant«, »überheblich« und »pikiert« empfunden, so als blicke das ganze hochkulturelle Wien naserümpfend auf die primitiven Piefkes aus dem Flachland herab. Wenn man aber so empfindet und dann auch noch mir-nichts-dir-nichts einfach so von einer in der sozialen Hackordnung weeeeeeeeit unter einem stehenden Servicekraft ungefragt geduzt wird, dann wird der Service halt als schlecht wahrgenommen. Weil man ihn als schlecht wahrnehmen will, nicht weil er schlecht ist.
Zurück zu unserem Service: Wir fanden ihn nicht schlecht. Nein, ganz und gar nicht. Der Laden brummte, Christian und seine Kolleg:innen hatten alle Hände voll zu tun, und trotzdem war das ganze Personal immer mit einem Lächeln da, standen unsere Getränke schnell auf dem Tisch, und auch das Essen ließ nicht lange auf sich warten.
Die Bestellung
Apropos Essen.
Mein Sohn, meine Frau und meine Schwägerin bestellten sich das Wiener Schnitzel, meine Schwiegermutter das Biergulasch vom Weiderind und mein Schwiegervater den Zwiebelrostbraten, auch vom Weiderind. Dazu werde ich hier aber nichts sagen, obwohl ich überall mal genascht habe. (Nur eins: Der Kartoffelsalat, der zum Wiener Schnitzel kommt, war phänomenal.)
Ich orderte den Schweinsbraten mit Bierkraut, Grammeln und Serviettenknödel für einen Preis von 19,90 Euro. Dazu nahm ich einen halben Liter Wiener Helles 1924 mit einer Stammwürze von 12,2° und 4,90 % Umdrehungen zu 5,40 Euro.
Was diese Grammeln sind, wusste ich nicht. Aber ich bin ja schließlich in Österreich, um meinen Horizont zu erweitern, statt aus lauter Angst vor Neuem schon wieder zu Kentucky Mc King zu rennen.
Als die Gerichte dann nach einiger, aber nicht zu langer Zeit kamen, sind mir fast die Augen aus dem Kopf gefallen.
Vor mir stand eine Pfanne mit 24 cm Durchmesser, randvoll mit Fleisch, Kraut, Knödeln und Soße. Für die Gesundheit gab’s auch noch ein wenig gehackte Petersilie obendrauf. Ach ja, und irgendwo waren auch noch diese Grammeln. Oder war »Grammeln« womöglich österreichisch für gehackte Petersilie? Ich konnte nicht nachschauen, denn im Souterrain hatte ich keinen Empfang.
Der Duft, der der Pfanne entströmte, war ziemlich verführerisch. Das musste ich sofort probieren!
Die Soße
Der erste Bissen, und sofort war die Soße da.
Viel zu oft wird in der Gastronomie eine hauptsächlich salzige Bratensoße aus der Tüte serviert. Bäh.
Aber diese hier?
Klar, das Salz war auch hier mit dabei, ja, aber sie war eben auch irgendwie anders. Ein Hauch von Bitternoten wie aus Schwarzen Johannisbeeren, eine zarte, leichte fruchtige Süße, gleichzeitig noch umami – diese Bratensoße war eine wahre Geschmacksexplosion. Sie war wunderbar. Sie war komplex, und das ist ein Attribut, das ich in meinem ganzen Leben wohl noch nicht im Zusammenhang mit einer Bratensoße benutzt habe.
Heute muss ich es benutzen. Diese Bratensoße war komplex, sie knallte, sie schmeckte fantastisch. Ich liebe diese Soße!
Wenn nun aber schon die Bratensoße so gut ist, wie wird das wohl bei den anderen Komponenten sein? Beim Bierkraut? Beim Schweinsbraten? Bei den Serviettenknödeln? Und bei diesen mysteriösen Grammeln?
Das Bierkraut
Anders als Sauerkraut wird Bierkraut nicht fermentiert, sondern der geschnittene Kohl wird mit (meist hellem) Bier, angeschwitzten Zwiebeln und Gewürzen geschmort, je länger, desto besser. Manchmal ist noch Speck dabei oder anderes Fleisch, das dann für eine besondere Note sorgt. Bierkraut ist eine tolle Beilage für alle möglichen Gerichte. Außerdem ist es super für gewisse rumpubertierende Familienmitglieder, denen die Säure von Sauerkraut aufstößt. Denn Bierkraut ist viel milder.
Ich kenne Bierkraut so, dass es als eigenständige Komponente auf dem Teller angerichtet liegt. Daneben finden sich dann Knödel (Fleisch ist optional), und dazu gibt es dann einen Klecks Soße – in der Regel viel zu wenig für die häufig recht trockenen Knödel.
Über zu wenig Soße konnte ich mich beim Schweinsbraten im »Stöckl im Park« auf jeden Fall nicht beschweren – denn hier war das Gericht nicht auf einem Teller angerichtet.
Sondern in einer Pfanne.
Eine Pfanne, die randvoll mit Soße war. So randvoll, dass das Bierkraut sich damit vollgesogen hatte. Es war mir vollkommen unmöglich, das Kraut als solches zu schmecken.
Wäre das ein Sauerkraut gewesen, hätte es sich wenigstens durch seine säuerliche Note von der Soße abgehoben. Aber mildes Bierkraut? Das ordnete sich der Dominanz der Soße leider gänzlich unter und fügte für mich lediglich eine sensorische Wahrnehmung hinzu, nämlich in Form von weicher Masse.
Und das ist schade, denn wenn ich ausschließlich nach der Sensorik gehe, scheint mir das ein hervorragendes Bierkraut gewesen zu sein. »Weiche Masse« klingt eklig, aber hier ist das eigentlich ein Qualitätsmerkmal. Superweiches Kraut ist ein Zeichen dafür, dass es sehr lange geschmort wurde – das ist ein Aufwand, der im eiligen Hopplahopp von Gastronomieküchen nur selten durchgeführt wird, weil Aufwand nämlich teuer ist.
Ich würde das Kraut echt mal gerne direkt aus dem Topf probieren. Denn ich vermute, dass es für sich genommen dieselbe hohe Güte wie die Soße hat. Jammerschade, dass diese Qualität im wahrsten Sinne des Wortes in einer Pfanne untergehen muss.
Der Schweinsbraten
Insgesamt wurden mir drei großzügige Scheiben Schweinsbraten serviert. Das Fleisch war wunderbar zart – ich hätte es mit einem Löffel zerteilen können. Nirgends, wo ich einen Schweinebraten gegessen habe, habe ich bisher eine derartige Zartheit erlebt. Häufig ist das Fleisch dröge und trocken – hier nicht. Es schmolz mir förmlich im Mund. Ganz offenbar kauft das »Stöckl im Park« für seinen Schweinsbraten ein richtig hochwertiges Stück Fleisch ein, das dann mit viel Können schonend über einen längeren Zeitraum zubereitet wird. Wie schon beim Bierkraut: Je länger es geschmort wird, desto zarter wird es. Hier denkt also jemand mit. Hier möchte jemand hervorragend gegarte Produkte servieren.
Aber dann kommt die Pfanne.
Und in dieser Pfanne wird der Braten in einer Soße ersäuft. Eine fantastische Soße. Aber ersäuft ist ersäuft.
Es war ein Elend. Wie schon zuvor beim Bierkraut – ich hatte keinerlei Chance, den Braten an sich zu genießen. Alles schmeckte bloß schon wieder nach dieser fulminanten Soße. Das Fleisch fügte dem Ganzen lediglich ein weiteres Mundgefühl hinzu.
Der Serviettenknödel
Ich kann es nicht oft genug wiederholen, wie toll die Soße war. Ich meine das wirklich. Natürlich waren auch die Serviettenknödel tief in diese Soße getaucht. Entsprechend schmeckten sie auch ausschließlich danach. Aber das hat mich hier mal ausnahmsweise nicht gestört.
Okay, jetzt, wo ihr Stangenei kennt, kommen wir zum Serviettenknödel zurück. Denn als ich von diesen Scheiben aß, sprang mir alles Negative in den Kopf, was ich mit Stangenei assoziiere. Irgendwie wabbelig, industriell, unschön, auch ein bisschen unappetitlich.
Ausgerechnet.
Denn ich hatte mich wegen des Knödels für dieses Gericht entschieden.
Normalerweise ist Schweinebraten ja nicht so toll zart wie dieser, sondern dröge und trocken. Normalerweise hätte ich mich darum für den Zwiebelrostbraten entschieden, den mein Schwiegervater nun mit großem Appetit verschmauste und der fantastisch aussah. Aber ich liebe nun mal Semmelknödel, Serviettenknödel, Speckknödel und all diese süddeutschen und österreichischen Herrlichkeiten, und bei uns im Norden kriege ich die nirgends. Darum war der Serviettenknödel für mich ausschlaggebend für meine Bestellung.
Und dann diese Enttäuschung. Das konnte dann auch die phänomenale Soße nicht retten.
Die Grammeln
Lasst euch noch einmal kurz daran erinnern, dass ich keinen Plan hatte, was »Grammeln« sind. Mangels Internetempfang konnte ich auch nicht vor Ort nachschauen. Meinte das vielleicht tatsächlich die Petersilie?
Nun: nein.
Grammeln haben nichts mit Petersilie zu tun. Die gute, alte Petersilie heißt auf Österreichisch übrigens »Petersil« und ist überraschenderweise männlichen Geschlechts, also »der Petersil«. Da klappt dem Gastronator aus dem dialektfreien Hochdeutschland doch vor lauter regionaler Besonderheit glatt das Kinn in die leckere Bratensoße.
Dieses sprachliche Zuckerl konnte ich jetzt, wo ich im Hotel sitze und diesen Text schreibe, im Internet in Erfahrung bringen.
Und bei der gleichen Gelegenheit habe ich mal nach »Grammeln« geschaut. Aha! Da wo ich herkomme, sind das »Grieben«. Sie entstehen, wenn roher Schweinespeck in kleine Würfel geschnitten und gaaaaaanz langsam erhitzt wird, sodass das Fett ausläuft und nur die knusprigen Rückstände übrig bleiben. (Und wie die knuspern!)
Diese Grammeln waren als eine Art Topping über das ganze Gericht gestreut, so wie Croutons über einen überteuerten Salat. Sie knusperten unwirklich gut, und das, obwohl sie die ganze Zeit über in der Soße lagen und eigentlich hätten weich werden müssen. Das ist doch schon wieder ein Zeichen einer exzellenten Küche.
Die Grammeln retteten tatsächlich die ganze Pfanne. Denn immer mal wieder, wenn ich eine Gabel voll mit irgendwas nahm, überraschte mich die Knusprizität eines kleinen Speckwürfels, der sich irgendwo reingemogelt hatte – in das Kraut oder auf ein Stück Fleisch, und mit ein paar Grammeln wurden sogar die Knödel erträglich.
Die schiere Menge und ein Fazit
Die Masse an Nahrung, die vor mir in dieser Pfanne lag, hat mich komplett überwältigt. Drei Stück Fleisch, eine recht großzügige Portion Kraut und die Serviettenknödel als Sättigungskomponente, dazu die reichhaltige Soße und auch noch die Grammeln – etwas mehr als zwei Drittel der Portion habe ich geschafft, dann musste ich aufgeben. (Ich gebe aber mal vorsichtshalber dem gehackten Petersil die Schuld dafür, dass ich nicht aufessen konnte.) Der Preis für den Schweinsbraten liegt bei 19,90 Euro – das Preisleistungsverhältnis ist, bezogen auf die Portionsgröße, der Hammer.
Aber lieber wäre mir offen gesagt eine kleinere Portion mit klarer definierten Komponenten, die ich dann auch differenziert schmecken und separat genießen kann.
Liebes »Stöckl im Park«, ich glaube, dass ich diesem Gericht heute Abend eine Schulnote 2 (mit Fleißbienchen!) hätte geben können, wenn ihr es mir einfach auf einem Teller serviert hättet, statt es in dieser unfassbar leckeren Soße zu ersaufen. Rustikaler Schick solcher Pfannenpräsentationen hin und her, aber wenn alles einheitlich nach Soße schmeckt, ganz egal, wie gut sie ist, bleibt die Gaumenfreude echt auf der Strecke. Und das ist schade. Denn wie ich oben mehrfach angemerkt habe – ich konnte es fühlen, wie gut ihr in Wahrheit kochen könnt.
Naja, bis auf den Knödel. Bei dem ist irgendwas furchtbar schiefgegangen.
So komme ich für dieses Gericht leider, leider nur auf eine 4 (immerhin auch mit Fleißbienchen).
Das gute Ende kommt zum Schluss
Natürlich gab’s noch einen Nachtisch. Ein Eis (mit Schlagsahne? WTF, Christian! Wir sind hier doch nicht in Hochdeutschland!) für den Sohn, die Schwägerin und den Schwiegervater, ein Kleiner Brauner für mich.
Ein Kleiner Brauner, wie er in Wien serviert wird.
Ein Kleiner Brauner ist eine klassische Wiener Kaffeespezialität.
Er besteht aus einem Mokka (in Österreich versteht man darunter einen dem Espresso nicht unähnlichen Kaffee, der aber mit längerer Extraktionszeit und geringerem Druck als ein echter italienischer Espresso zubereitet wird) und wird mit einem Schuss Milch oder auch Schlagobers serviert (also Sahne – für all jene, die es noch immer nicht kapiert haben. Looking at you, Christian!). Der Name »Brauner« leitet sich übrigens von der Färbung ab, die der Kaffee durch die Milch oder den Schlagobers erhält.
Die Milch (oder der Obers) wird üblicherweise in einem kleinen Kännchen dazu gereicht, damit man die gewünschte Menge selbst hinzufügen kann, so natürlich auch im »Stöckl«. Ich habe, gierig wie ich nun mal bin, die komplette Milch hineingegeben. Sie war heiß und ein bisschen aufgeschäumt.
Und so kam ich zum besten Kaffee, den ich seit Langem getrunken habe.
Ein versöhnliches Ende also im »Stöckl« für mich.
Mit diesem Bericht habe ich diesen Blog nach 13 langen Jahren reaktiviert. Unglaublich.
Der GASTRONATOR ist dort draußen. Mit diesem Ding kann weder verhandelt noch argumentiert werden. Er kennt kein Erbarmen, keine Reue oder Angst.